Aus der Rechtsprechung
Keine Verzinsung bei nur kurzfristigem Liquiditätsvorteil
Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann ein Erlass von Nachzahlungszinsen in Betracht kommen, wenn Umsätze dauerhaft jeweils nur einen Monat zu spät angemeldet und versteuert werden.
Sachverhalt
Die Klägerin hatte über Jahre hinweg ihre Umsätze in ihren monatlichen Voranmeldungen stets dem Monat der Rechnungsstellung zugeordnet, obwohl sie 90 Prozent ihrer Leistungen bereits im Vormonat erbracht hatte. Der Grund hierfür war, dass die Klägerin meist erst nach Ablauf der Abgabefrist für den jeweiligen Vor-anmeldungszeitraum die für die Rechnungsstellung nötigen Informationen von ihren Subunternehmern erhielt. Über eine Dauerfristverlängerung für die Abgabe der Voranmeldungen (§§ 46 ff. UStDV) verfügte sie nicht. Um die falsche Zuordnung der Umsätze zu korrigieren, ordnete die Außenprüfung jeweils 90 Prozent der im Januar angemeldeten Umsätze dem Vorjahr zu. Das Finanzamt (FA) setzte in diesem Zusammenhang Zinsen in nicht unerheblicher Höhe fest. Einen Erlass der Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen lehnte das FA ab: Die Klägerin habe durch die monatlich wiederkehrende Zuspätzahlung einen dauerhaften Liquiditätsvorteil erlangt.
Entscheidung
Das erstinstanzliche Finanzgericht (FG) gab der Klägerin recht: Da der Liquiditätsvorteil nur jeweils einen Monat bestanden habe, sei ein bis zu 56-monatiger Zinslauf unbillig. Zu Unrecht habe das FA danach einen dauerhaften Liquiditätsvorteil berücksichtigt. Ein unterjähriger, jeweils monatlicher Vorteil sei im Hinblick auf Nachzahlungszinsen im Sinne von § 233a Abs. 1 Satz 2 AO irrelevant.
Auch der Bundesfinanzhof stellte sich nun hinter die Klägerin: Das FA habe die Klägerin im Hinblick auf den Erlass neu zu bescheiden. Die Festsetzung einer Steuer oder eines Zinsanspruchs sei sachlich unbillig, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspreche, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderlaufe, dass ihre Erhebung unbillig erscheine. Das sei der Fall, wenn nach dem erklärten oder mutmaß-lichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden könne, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte – im Sinne der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO sei grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt habe. Nach dieser Vorschrift sollten aber keine Zinsvorteile abgeschöpft werden, die in Wirklichkeit nicht vorhanden seien.
Ein Vorteilsausgleich komme nicht infrage, wenn der Steuerpflichtige durch die verspätete Steuerfestsetzung zweifelsfrei keinen Vorteil gehabt habe. Bei einer von den ursprünglichen Steuerfestsetzungen abweichenden zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes, die gleichzeitig zu einer Steuernachforderung und einer Steuererstat-tung führe, seien tatsächlich nicht vorhandene Zinsvorteile auch nicht abzuschöpfen. Wenn – wie bei der Umsatzsteuer – der Steueranspruch bereits mit dem Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Umsatzausfüh-rung oder Entgeltvereinnahmung entstehe (anstatt wie bei anderen Steuerarten erst mit Ablauf des Kalender-jahrs), könne nicht einseitig auf die nachgeforderte Jahressteuer abgestellt werden. Es komme maßgeblich auf eine Einzelbetrachtung des jeweils vorzuverlagernden Umsatzes an.
Darum war es nach Meinung des BFH auch ohne Belang, dass zum Beispiel eine Steuerminderung im Januar 2010 (wegen Verlagerung der Umsätze in das Jahr 2009) nicht zu einer Erstattung führte, weil es auch zu einer Verlagerung aus dem Januar 2011 in den Dezember 2010 gekommen sei. Dass eine Erstattung für 2010 an einer Saldierung mit anderen Besteuerungsgrundlagen scheitere, sei im Hinblick auf diese Einzelbetrach-tung unerheblich. Damit erweise sich die vom FA befürwortete Einbeziehung unterjährig entstandener Liquidi-tätsvorteile in die Billigkeitsbetrachtung als unzutreffend. Unerheblich sei auch, dass die Klägerin de facto die Vorteile einer Dauerfristverlängerung gemäß § 18 Abs. 6 UStG ohne die hierfür erforderliche Sondervoraus-zahlung in Anspruch genommen habe.
Hinweis
Zum rechten Verständnis des Urteils ist es nötig, sorgfältig zwischen der Festsetzung der Zinsen und ihrem (hier gegenständlichen) Erlass zu unterscheiden. Die Festsetzung der Zinsen als solche wurde nicht bean-standet: So teilt das erstinstanzliche FG mit, dass das FA für die Umsatzsteuernachforderungen „zu Recht Nachforderungszinsen gem. § 233a AO festgesetzt hat“. Vielmehr wurde mit der Begründung, dass diese Festsetzung mangels eines längerfristigen Liquiditätsvorteils sachlich unbillig gewesen sei, ein Erlass nach § 227 AO beantragt.
Sachlich unbillig war die Festsetzung im Ergebnis offenbar deshalb, weil es im Zuge einer „Einzelbetrachtung“ für die Betrachtung des Liquiditätsvorteils nicht auf ein abstraktes, von einem Monat auf den nächsten vorgetragenes Steuerminus, sondern auf den jeweiligen Umsatz ankommt. Wird die Steuerschuld für den einzelnen Umsatz bereits im Folgemonat getilgt, entfällt insoweit der Liquiditätsvorteil. Dann gibt es aber auch keinen Grund, diese bereits getilgte Schuld – mitunter über viele Jahre – zu verzinsen. Das erscheint sach-gerecht: § 233a AO ist dazu da, Liquiditätsvorteile abzuschöpfen, nicht dazu, eine nicht periodengerechte Steuermeldung zu „bestrafen“. Der Gesetzgeber möchte, so der BFH, keinen monatlichen Zinsvorteil abschöpfen – dazu passt (worauf das FG im Hinblick auf den Liquiditätsvorteil hinweist), dass im Fall des § 233a AO der Zinslauf erst 15 Monate nach Ende des Kalenderjahrs beginnt.
Zu beachten ist, dass die vorsätzliche oder leichtfertige unzutreffende Erklärung von Umsätzen zu einer Steuerhinterziehung bzw. leichtfertigen Steuerverkürzung führen kann, worauf der BFH auch noch einmal hinweist, was er aber im konkreten Fall nicht zu entscheiden hatte.
Fundstellen
BFH V R 30/20, Urteil vom 23. Februar 2023
FG Baden-Württemberg 1 K 610/18, Urteil vom 4. August 2020
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