Aus der Rechtsprechung
Umsatzsteuerliche Organschaft – wirtschaftliche Eingliederung
Der Bundesfinanzhof (BFH) nimmt einen Fall mit unvollständigem Sachverhalt zum Anlass, auf verschiedene Möglichkeiten einzugehen, eine wirtschaftliche Eingliederung zu begründen.
Sachverhalt
Die Klägerin war eine GmbH, deren Geschäftsgegenstand die Vermietung und Verwaltung von Wohn- und Gewerbeimmobilien war. G, ihr alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer, führte ein Einzelunternehmen, dessen Gegenstand der Erwerb von Immobiliarvermögen war. Die Klägerin verwaltete insgesamt über 1.800 Einheiten, darunter auch Mieteinheiten auf zwölf mit Wohnhäusern bebauten Grundstücken im Eigentum des G. Zudem mietete die Klägerin Büroräume von einer GbR, an der G zu 95 Prozent beteiligt war.
Die Klägerin war zudem Teil der V-Gruppe, die in den Streitjahren Dienstleistungen im Immobilienbereich anbot. Von den Einheiten, die die Klägerin verwaltete, hatte die V-Gruppe über 1.400 Einheiten erstellt, vermittelt oder vertrieben. Die Klägerin wurde von der V-Gruppe regelmäßig für Verwaltungstätigkeiten eingesetzt, trat aber selbst nicht auf dem Markt in Erscheinung und entfaltete keine eigene Akquisetätigkeit. Sie war den Unternehmen dieser Gruppe nicht zum Gewinnausgleich verpflichtet. Hingegen vermittelte G der V-Gruppe Kunden und erhielt Provisionen für die Vertriebstätigkeit (jedoch nicht von der Klägerin).
Später wurde über das Vermögen sowohl der Klägerin als auch des G das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin stellte sich nun auf den Standpunkt, dass sie eine Organgesellschaft des G als Organträger gewesen sei, und verlangte eine Herabsetzung ihrer Umsatzsteuer für die Streitjahre auf null Euro.
Entscheidung
Der BFH hielt eine Organschaft zwischen G als Organträger und der Klägerin sowie weiteren Gesellschaften der V-Gruppe als Organgesellschaften für möglich, ohne die Frage abschließend entscheiden zu können. Grund hierfür sei, so der BFH, eine noch unzureichende Ermittlung des Sachverhalts, die im Verfahren vor dem Sächsischen Finanzgericht nachzuholen sei. Gegebenenfalls könne die Klägerin insbesondere aufgrund von Verflechtungen mit anderen Gesellschaften der V-Gruppe, die selbst Organgesellschaften des G sein könnten, in das Unternehmen des G wirtschaftlich eingegliedert sein.
Für eine wirtschaftliche Eingliederung könne es (zumindest bei deutlicher Ausprägung der finanziellen und organisatorischen Eingliederung) genügen, dass zwischen der Organgesellschaft und dem Unternehmen des Organträgers ein vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung vorhanden ist. Die Tätigkeiten von Organträger und Organgesellschaft müssten lediglich aufeinander abgestimmt sein und sich dabei fördern und ergänzen. Hierfür reiche das Bestehen von mehr als nur unerheblichen Beziehungen zwischen Organträger und Organgesellschaft aus, ohne dass die Organgesellschaft wirtschaftlich vom Organträger abhängig zu sein brauche. Die wirtschaftliche Eingliederung könne aber nicht nur aufgrund unmittelbarer Beziehungen zum Organträger bestehen, sondern auch auf der Verflechtung zwischen den Unternehmensbereichen verschiedener Organgesellschaften beruhen.
Zwar seien Hausverwaltungsdienste (wie Buchführungs- oder Personalverwaltungsdienstleistungen oder ein Winterdienst) grundsätzlich standardisierte Dienstleistungen, für die es zahlreiche, mit relativ geringem Aufwand austauschbare Anbieter gebe. In dieser Hinsicht habe das erstinstanzliche Finanzgericht (FG) die wirtschaftliche Eingliederung zutreffend verneint. Allerdings könne sich die wirtschaftliche Eingliederung auch daraus ergeben, dass die Hausverwaltungsdienste für die Klägerin bedeutsam waren. Ob das der Fall war, konnte der BFH nicht feststellen: Die Zahl der durch die Klägerin verwalteten Einheiten stand nur für den Beginn der vier Streitjahre fest, nicht aber für die nachfolgende Zeit.
Außerdem zog der BFH eine wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Klägerin und den anderen Unternehmen der V-Gruppe in Betracht. Dass die Klägerin gegenüber diesen Gesellschaften nicht zum Gewinnausgleich verpflichtet war, sei kein Hindernis – jedenfalls in Hinblick auf eine mögliche Verflechtung mit möglichen Schwestern –, und ebenso wenigder Umstand, dass die Klägerin mit G keine Provisionsvereinbarung getroffen hatte.
Zuletzt äußerte der BFH die Auffassung, dass eine wirtschaftliche Eingliederung nicht unbedingt daran scheitern müsse, dass G seine Beteiligung an der Klägerin nicht im Unternehmensvermögen, sondern (wie das Finanzamt behauptete) im Privatvermögen hielt. Entscheidend sei allein, ob die Unternehmensbereiche von Organträger und Organgesellschaft miteinander verflochten sind.
Hinweis
Für eine wirtschaftliche Eingliederung kann nach Meinung des BFH eine (hier nicht gegebene) mehr als nur unerhebliche, das Unternehmen der Organgesellschaft fördernde Tätigkeit des Organträgers ausreichen. Jedenfalls diese Form der wirtschaftlichen Eingliederung bedarf (wie der BFH auch anmerkt) einer entsprechend deutlicheren Ausprägung der organisatorischen und finanziellen Eingliederung. Der BFH bringt seine bisherige Rechtsprechung zu den „mehr als nur unerheblichen Beziehungen zwischen den Unternehmensbereichen“ auf die griffige Formel, dass die wirtschaftliche Eingliederung nicht auf „grundsätzlich standardisierten Dienstleistungen“ beruhen kann, „für die es zahlreiche, mit relativ geringem Aufwand austauschbare Anbieter gibt“. Ein solches Erfordernis ließ die lange Reihe an Beispielen und Gegenbeispielen aus bisheriger Rechtsprechung bereits vermuten. Das Urteil bestätigt zudem, dass nicht nur die Tätigkeit des Organträgers die Organgesellschaft fördern kann, sondern auch die umgekehrte Leistungsrichtung von Organgesellschaft zu Organträger die wirtschaftliche Eingliederung vermitteln kann.
Neu ist, dass die wirtschaftliche Eingliederung sich auch aus der quantitativen Bedeutung der Hausverwaltungsdienste für die Klägerin als Leistungserbringerin ergeben können soll. Das ist nicht mit einer wirtschaftlichen Verflechtung mit der V-Gruppe zu verwechseln, die der BFH erst im darauffolgenden Absatz anspricht. Ob und unter welchen Voraussetzungen solche Erwägungen zur Begründung einer wirtschaftlichen Eingliederung herangezogen werden können, wird künftige Rechtsprechung klären müssen.
Eine Verflechtung mit anderen Gesellschaften der V-Gruppe (als mögliche andere Mitglieder des Organkreises) ist nicht schon durch den fehlenden Gewinnausgleich gegenüber anderen Unternehmen der V-Gruppe ausgeschlossen. Hier scheint der BFH eine mögliche Akquisetätigkeit der anderen Unternehmen als Grund für eine wirtschaftliche Eingliederung (auf Basis einer Förderung der Unternehmenstätigkeit der Klägerin) in Betracht zu ziehen. Das würde aber, wie vom BFH vermerkt, eine Organschaft zwischen G und den anderen Unternehmen voraussetzen – auch hier wird das FG bei der Sachverhaltsermittlung nachlegen müssen. Das erstinstanzliche FG hatte eine Förderung der Geschäftstätigkeit der Klägerin durch andere Unternehmen der V-Gruppe für möglich gehalten, war aber nicht der Frage nachgegangen, ob diese Unternehmen die Akquise für die Klägerin übernommen hatten.
Unternehmerische Leistungen des G an die Klägerin scheint es nicht gegeben zu haben: Anscheinend hielt G die Anteile an der Klägerin im Privatvermögen, was grundsätzlich bedeutet, dass er weder entgeltlich in die Verwaltung der Klägerin eingriff noch die Anteile zur Förderung einer unternehmerischen Tätigkeit hielt. Von anderen Leistungen des G an die Klägerin erfährt man im Urteil nichts. Die entgeltlichen Leistungen des G an die anderen Unternehmen der V-Gruppe begründeten laut BFH für sich genommen keine wirtschaftliche Eingliederung der Klägerin.
Hier folgt aber die nächste Überraschung des Urteils: Eine wirtschaftliche Eingliederung liegt dem BFH zufolge nicht schon deswegen nicht vor, weil G seine Beteiligung an der Klägerin nicht seinem Unternehmensvermögen zugeordnet haben könnte. Entscheidend sei allein, ob die Unternehmensbereiche von Organträger und Organgesellschaft miteinander verflochten sind. Im Allgemeinen war eine wirtschaftliche Eingliederung bislang nur schwer ohne unternehmerische Eingriffe des Organträgers in die Verwaltung der Organgesellschaft herbeizuführen. Was das genau bedeutet, wird künftige Rechtsprechung auszuführen haben.
Fundstelle
BFH V R 28/20, Urteil vom 11. Mai 2023
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