Vom Europäischen Gerichtshof
Nichtsteuerbarkeit von Innenleistun-gen im Organkreis bleibt bestehen
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache „Finanzamt T II“ war mit Spannung erwartet worden. Der befürchtete „Crash“ eines wesentlichen Bestandteils des deutschen Konzern-Umsatzsteuerrechts ist (ein weiteres Mal) ausgeblieben: Die deutsche Rechtsauffassung wurde bestätigt, Innenumsätze zwischen Mitgliedern einer umsatzsteuerlichen Organschaft (in unionsrechtlicher Diktion „Mehrwertsteuergruppe“) unterliegen nicht der Umsatzsteuer.
Sachverhalt
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens (S) war Trägerin einer Universität einschließlich eines Bereichs für Universitätsmedizin sowie Organträgerin der U-GmbH. Für den Klinikbetrieb war sie als Unternehmerin tätig, während sie Hörsäle und Labore für die universitäre Ausbildung und damit hoheitlich nutzte. Die U-GmbH erbrachte für S unter anderem Reinigungsleistungen im gesamten Gebäudekomplex des Bereichs Universitätsmedizin. Dazu gehörten neben Patientenzimmern, Fluren und Operationssälen auch die Hörsäle und Labore. Das Finanzamt war zwar der Auffassung, dass die Leistungen der U-GmbH als Innenleistungen im Organkreis nicht steuerbar seien. Allerdings dienten sie, soweit sie für den Hoheitsbereich erbracht worden waren, seiner Meinung nach einer „unternehmensfremden“ Tätigkeit und seien als unentgeltliche Wertabgabe zu besteuern.
Das Verfahren liegt dem EuGH bereits zum zweiten Mal vor. Im Jahr 2022 hatte der EuGH im ersten Rechtszug im Urteil in der Rechtssache „Finanzamt T I“ entschieden (siehe Ausgabe 2 unseres Newsflashs Umsatzsteuer aktuell vom Dezember 2022), dass ein beherrschendes Mitglied des Organkreises ‒ hier die S ‒ zum Vertreter und Steuerpflichtigen der Mehrwertsteuergruppe bestimmt werden konnte. Allerdings hatte zum einen die Generalanwältin Medina in ihren Schlussanträgen in diesem und einem weiteren Verfahren die Auswirkungen einer Mehrwertsteuergruppe weitgehend auf eine gemeinsame Steuererklärung reduziert und die Auffassung geäußert, die Innenumsätze müssten der Umsatzsteuer unterliegen. Zum anderen hatte der EuGH in seinem (parallel ergangenen) Urteil „Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie“ („NGD“) eine „Selbständigkeit“ von Organgesellschaften angesprochen: Es sei davon auszugehen, dass die Gruppenmitglieder selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgingen, weil sie die mit ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit einhergehenden wirtschaftlichen Risiken selbst trügen.
Daher legte der Bundesfinanzhof (BFH) dem EuGH das Verfahren ein zweites Mal vor und fragte nun explizit, ob entgeltlich zwischen Mitgliedern derselben Mehrwertsteuergruppe erbrachte Leistungen der Umsatzsteuer unterliegen. Außerdem stellte er die Frage, ob dies (bejahendenfalls) auch dann gelte, wenn (wie hier) der Leistungsempfänger nicht oder nur teilweise berechtigt ist, die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen.
Entscheidung
Nach Meinung des EuGH wird eine Mehrwertsteuergruppe zu einem einzigen Steuerpflichtigen, der Gruppe sei auch nur eine Mehrwertsteuernummer zuzuteilen. Daraus folge, dass ein Leistender, der einer Mehrwertsteuergruppe angehört, nicht einzeln als ein von dieser Gruppe getrennter Steuerpflichtiger betrachtet werden könne. Es brauche daher nicht bestimmt zu werden, ob er die Voraussetzung der Selbständigkeit erfüllt, wenn er für eine andere Einheit dieser Gruppe gegen Entgelt eine Leistung erbringt. Seine Leistung falle nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer: Mit anderen Worten sind Innenleistungen einer Mehrwertsteuergruppe nicht umsatzsteuerbar.
Was die vom BFH befürchtete Gefahr von Steuerverlusten anging, so unterlägen Leistungen zwischen Personen, die ein und derselben Mehrwertsteuergruppe angehören, selbst dann nicht der Mehrwertsteuer, wenn die vom Empfänger dieser Leistungen geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden darf. Der EuGH verwies hierbei darauf, dass bei einer Mehrwertsteuergruppe das Recht auf Abzug der geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer als Vorsteuer der Gruppe selbst und nicht deren Mitgliedern zustehe. Außerdem sei hier die Gefahr von Steuerverlusten nicht auf die Umsetzung der Richtlinienvorschriften zur Mehrwertsteuergruppe durch den nationalen Gesetzgeber zurückzuführen, sondern auf die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und seiner Vorschriften über den Vorsteuerabzug.
Hinweise
Das Urteil des EuGH ist eine positive Nachricht für umsatzsteuerliche Organschaften in Deutschland, deren Mitglieder Innenleistungen austauschen. Sie können weiterhin von der Nichtsteuerbarkeit dieser Leistungen ausgehen, ohne befürchten zu müssen, dass dies gegen Unionsrecht verstößt.
Das Urteil des EuGH war mit Spannung erwartet worden: In Hinblick auf die Nichtsteuerbarkeit der Innenleistungen hatten zwei Generalanwälte am EuGH in drei Schlussanträgen gegensätzliche Auffassungen vertreten. Zu den bereits oben erwähnten Schlussanträgen der Generalanwältin Medina vom Januar 2022, die sich gegen eine Nichtsteuerbarkeit der Innenleistungen aussprach, kamen im Mai 2024 die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos (siehe Ausgabe 5 unseres Umsatzsteuer-Newsletters vom Mai 2024), der der Auffassung seiner Kollegin die nun vom EuGH im Ergebnis bestätigte Auffassung gegenüberstellte. Der Umstand, dass für den Fall einer Steuerbarkeit der Innenleistungen eigens eine Begrenzung der zeitlichen Wirkungen des Urteils beantragt worden war, lässt ahnen, dass man auf deutscher Seite dem Urteil mit einiger Nervosität entgegenblickte.
Der EuGH stellt etwas lapidar fest, dass die Gefahr von Steuerverlusten hier nicht aus der Umsetzung der Richtlinienvorschriften zur Mehrwertsteuergruppe folge, sondern aus der Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, besonders der Vorschriften zum Vorsteuerabzug. Offenbar ist der EuGH der Auffassung, die Wirkungen der Mehrwertsteuergruppe seien in dieser Hinsicht vom Unionsgesetzgeber so beabsichtigt und systemkonform. Das erscheint nachvollziehbar: Der BFH hatte seine Bedenken in Hinblick auf mögliche Steuerverluste unter anderem auf einen Vergleich zwischen Leistungen zwischen den Mitgliedern einer umsatzsteuerlichen Organschaft und zwischen fremden Dritten begründet. In seinen Schlussanträgen hatte Generalanwalt Rantos dem jedoch einen Vergleich zwischen dem Fall einer Organgesellschaft und einer unternehmensinternen Organisationseinheit erläutert, der jedenfalls aus mehrwertsteuerrechtlicher Sicht zum selben Ergebnis führen würde.
Wie bereits in früheren Urteilen teilt der EuGH mit, dass der Gruppe nur eine Mehrwertsteuernummer zugeteilt werden dürfe. Ob das bedeutet, dass Organgesellschaften keine eigenen Umsatzsteuer-Identifikationsnummern erhalten dürften, ist aber umstritten.
Es bleiben weitere Unklarheiten: Ein Leistender in einer Mehrwertsteuergruppe könne – so der EuGH ‒ nicht einzeln als von dieser Gruppe getrennter Steuerpflichtiger betrachtet werden, und seine Selbständigkeit müsse nicht bestimmt werden, „wenn er für eine andere Einheit dieser Gruppe gegen Entgelt eine Leistung erbringt“. Jedenfalls im Innenverhältnis ist es also irrelevant, ob die Organgesellschaft selbstständig ist oder nicht. Soweit es aber um das Außenverhältnis der Organschaft geht, stehen weiterhin die Ausführungen des EuGH im Urteil „NGD“ zu einer Selbständigkeit der Organgesellschaften im Raum. Ob dieser „Selbständigkeit“ einer Gruppengesellschaft Bedeutung zukommt (und wenn ja, welche Folgen sie für die Praxis haben könnte), bleibt unklar.
Fundstellen
EuGH C-184/23 „Finanzamt T II“, Urteil vom 11. Juli 2024;
BFH V R 20/22 (V R 40/19), EuGH-Vorlage vom 26. Januar 2023;
Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 16. Mai 2024 in der Rechtssache C-184/23 „Finanzamt T II“ (auch „S II“); Schlussanträge der Generalanwältin Medina in den Rechtssachen C-141/20 „Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie“ („NGD“) vom 13. Januar 2022 sowie C-269/20 „Finanzamt T I“) vom 27. Januar 2022; Urteile des EuGH vom 1. Dezember 2022 in den Rechtssachen C-141/20 und C-269/20
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