Vom Europäischen Gerichtshof
Generalanwalt: Bleiben Innen-umsätze im Organkreis nichtsteuerbar?
Im Januar 2022 hatte die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) Medina die Auffassung geäußert, dass eine Mehrwertsteuergruppe (in Deutschland "umsatzsteuerliche Organschaft") sich im Wesentlichen auf die Abgabe einer gemeinsamen Umsatzsteuererklärung beschränke und sog. Innenleistungen gegebenenfalls der Umsatzsteuer unterliegen könnten. Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs (BFH) hat ein anderer Generalanwalt jetzt im Wesentlichen das deutsche Verständnis bekräftigt, dass Innenleistungen nicht steuerbar sind. Ein EuGH-Urteil steht noch aus.
Am 13. und 27. Januar 2022 waren zu zwei am EuGH anhängigen – zwischenzeitlich mit Urteil entschiedenen – Verfahren „Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie“ und „S“ je eine Stellungnahme der Generalanwältin Laila Medina veröffentlicht worden. In diesen Schlussanträgen hatte die Generalanwältin die Auffassung geäußert, dass die deutsche Regelung zur umsatzsteuerlichen Organschaft gleich in mehrfacher Hinsicht mit der Richtlinienregelung zur Mehrwertsteuergruppe nicht vereinbar sei. Ihre Auffassung, dass ein beherrschendes Mitglied der Gruppe nicht zum Vertreter und Steuerpflichtigen der Gruppe bestimmt werden könne, wurde vom EuGH zwar zurückgewiesen. Ihre Auffassung hingegen, dass Innenumsätze zwischen den Gruppenmitgliedern dem Anwendungsbereich der Steuer unterlägen und damit steuerbar seien (womit sich die Vereinfachungswirkung im Ergebnis abgesehen von der Steuerschuld der Mehrwertsteuergruppe weitgehend in einer Sammel-Steuererklärung erschöpft hätte), hatte der EuGH zwar nicht explizit bestätigt. In seinem Urteil in der Rechtssache „Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie“ hatte er eine solche Auffassung aber auch nicht ausgeschlossen: Zwar sei die Mehrwertsteuergruppe bzw. der Organträger einziger Steuerpflichtiger, aber aus der relevanten Richtlinienvorschrift ergebe sich nicht, dass eine Organgesellschaft aufgrund ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Mehrwertsteuergruppe keine selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeiten mehr ausübe (vgl. Ausgabe 2 unseres Newsflashs Umsatzsteuer aktuell vom Dezember 2022). Das ließ Zweifel zu, ob die Leistungen zwischen den Mitgliedern des Organkreises umsatzsteuerbar sind oder nicht.
Daraufhin hatte der BFH dem EuGH das Verfahren „S“ ein zweites Mal vorgelegt („S II“, vgl. Ausgabe 2 unseres Newsflashs Umsatzsteuer aktuell vom April 2023). Darin neigte er eher der Auffassung zu, dass die Innenleistungen des Organkreises umsatzsteuerbar seien und dass sich die Vereinfachungswirkung im Wesentlichen auf die gemeinsame Steuererklärung beschränke. Davon abgesehen führe eine umsatzsteuerliche Organschaft seiner Auffassung nach zu Steuerverlusten, weil im Innenverhältnis die Steuer für eine steuerpflichtige Leistung an ein nicht zum Vorsteuerabzug berechtigtes Mitglied nicht entstehe und das empfangende Mitglied somit nicht mit der Steuer belastet werde – während unter unabhängigen Dritten ein Steueranspruch entstehe, dem kein Vorsteuerabzug des Empfängers gegenüberstehe.
Der Generalanwalt am EuGH Athanasios Rantos hat dem EuGH in seinen am 16. Mai 2024 erschienenen Schlussanträgen jedoch empfohlen, die EuGH-Vorlage des BFH in der Rechtssache "S II" dahin zu beantworten, dass die Innenumsätze im Organkreis nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen, und zwar selbst dann nicht, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Was den letzteren Punkt angeht, so hält der Generalanwalt dem Vergleich des BFH zwischen dem Steueraufkommen im Fall einer Organgesellschaft und eines unabhängigen Dritten einen Vergleich zwischen dem Fall einer Organgesellschaft und einer unternehmensinternen Organisationseinheit entgegen, der jedenfalls aus mehrwertsteuerrechtlicher Sicht zum selben Ergebnis führen würde. Die jetzt veröffentlichten Schlussanträge bestätigen im Wesentlichen das Institut der umsatzsteuerlichen Organschaft nach deutschem Verständnis.
Der EuGH folgt häufig der Stellungnahme des Generalanwalts, tut das jedoch durchaus nicht immer. Bis zur noch nicht terminierten Veröffentlichung des Urteils bleibt offen, welche Haltung der Gerichtshof in Hinblick auf die gegensätzlichen Positionen der Generalanwaltschaft einnehmen wird.
Fundstellen
Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 16. Mai 2024 in der Rechtssache C-184/23 „S II“ (am EuGH geführt unter „Finanzamt T“;
Schlussanträge der Generalanwältin Medina in den Rechtssachen C-141/20 „Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie“ vom 13. Januar 2022 sowie C-269/20 „S“ (am EuGH geführt unter „Finanzamt T“) vom 27. Januar 2022; Urteile des EuGH vom 1. Dezember 2022 in den Rechtssachen C-141/20 und C-269/20;
BFH V R 20/22 (V R 40/19), EuGH-Vorlage vom 26. Januar 2023
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