Aus der Rechtsprechung
Vorsteuerabzug einer Kurgemeinde
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Juli 2023 über den Fall einer Kurtaxe als Entgelt für die Bereitstellung von Kureinrichtungen durch eine Gemeinde zu entscheiden – seiner Auffassung nach lag jedoch keine "Dienstleistung gegen Entgelt" zugrunde. Der Bundesfinanzhof (BFH) hält indessen im Fall der Nutzung von Kureinrichtungen, die nicht für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich sind, an der Umsatzsteuerbarkeit fest. Allerdings kann der Vorsteuerabzug für Eingangsumsätze aufzuteilen sein.
Sachverhalt
Die Klägerin war eine auf einer Insel gelegene Gemeinde. Sie unterhielt einen Eigenbetrieb Kurverwaltung. Unternehmensgegenstand war die Erfüllung aller mit dem Kurbetrieb verbundenen Aufgaben in der Gemeinde.
Zur Finanzierung der Tätigkeit erhob die Klägerin eine Kurtaxe sowie eine Fremdenverkehrsabgabe. Die Kurtaxe erhob die Gemeinde zur Deckung eines bestimmten Prozentsatzes des Aufwands für die Herstellung, Verwaltung und Unterhaltung der zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten öffentlichen Einrichtungen. Kurtaxepflichtig waren alle ortsfremden Personen, die sich in der Gemeinde aufhielten und die die Möglichkeit zur Nutzung der Kur- und Erholungseinrichtungen hatten (unabhängig davon, ob und wieweit sie die Anlagen tatsächlich nutzten). Sowohl kurtaxepflichtige Personen als auch Ortsansässige und von der Kurtaxe befreite Personen erhielten eine Karte zur Nutzung der Anlagen, die als Ausweis diente. Konnte der Ausweis bei Kontrolle nicht vorgewiesen werden (was offenbar vor allem Tagesgäste ohne Übernachtung in der Gemeinde betraf), war eine erhöhte Tageskurabgabe zu entrichten.
Die Fremdenverkehrsabgabe wurde laut Satzung zur teilweisen Deckung der Aufwendungen der Gemeinde für die Fremdenverkehrswerbung von Personen und Einrichtungen erhoben, „denen durch den Fremdenverkehr in der Gemeinde [...] unmittelbar und/oder mittelbar wirtschaftliche Vorteile geboten werden“. Das Aufkommen aus der Fremdenverkehrsabgabe stellte die Gemeinde dem Kurbetrieb zur Verfügung.
Die Gemeinde war der Auffassung, sie sei wirtschaftlich tätig, da die Kurtaxe als Entgelt für die Bereitstellung der Kureinrichtungen zu gelten habe, und zog in vollem Umfang die Vorsteuer aus ihren Eingangsaufwendungen für Fremdenverkehrswerbung ab. Das Finanzamt war damit nicht einverstanden.
Entscheidung
Der BFH gab dem Finanzamt nur teilweise recht. Bislang sei er, der BFH, davon ausgegangen, dass eine Gemeinde mit der Bereitstellung von Kureinrichtungen gegen Kurtaxe steuerbare Umsätze ausführe, die dem ermäßigten Steuersatz unterlägen. Daran halte er für die hier vorliegende Fallgruppe, dass die Kurtaxe für die Nutzung von Kureinrichtungen gezahlt wird, die nicht für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich sind, ausdrücklich fest. Zwar habe der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache C-344/22 „Gemeinde A“ entschieden, dass die Bereitstellung von Kureinrichtungen durch eine Gemeinde keine Dienstleistung gegen Entgelt darstelle, wenn die Verpflichtung zur Entrichtung dieser Taxe nicht an die Nutzung dieser Einrichtungen, sondern an den Aufenthalt im Gemeindegebiet geknüpft ist, und diese Einrichtungen für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich sind. Das sei im vorliegenden Urteil nicht der Fall: Nach der Satzung könnten die Kureinrichtungen nicht von jedermann frei und unentgeltlich genutzt werden.
An der Wertung des erstinstanzlichen Finanzgerichts (FG), die Klägerin sei mit ihrem Kurbetrieb als Steuerpflichtige tätig, fand der BFH nichts zu beanstanden. Mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine dauerdefizitäre Tätigkeit einer Gemeinde überhaupt als wirtschaftliche Tätigkeit gelten darf, musste der BFH sich nicht auseinandersetzen, weil die Gemeinde mit dem Kurbetrieb Gewinne erwirtschaftete. Sie verhielt sich dem BFH zufolge außerdem marktüblich und wurde wie eine typische Unternehmerin tätig, die die Möglichkeit zur Nutzung touristischer Einrichtungen, Sport- oder Freizeiteinrichtungen gegen Entgelt zur Verfügung stellte. Für den Fall, dass die Kureinrichtungen auf öffentlich-rechtlicher Basis bereitgestellt wurden, ging er aufgrund des in der Region bestehenden Wettbewerbs offenbar davon aus, dass es anderenfalls zu größeren Wettbewerbsverzerrungen komme.
Uneingeschränkt wollte der BFH den Vorsteuerabzug aber nicht zugestehen: Die unentgeltliche Überlassung von Kureinrichtungen an Einwohner, die Einwohnerkarten erhielten, könne eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit sein. Der BFH konnte außerdem nicht ausschließen, dass Kureinrichtungen auch von der Gemeinde selbst (für hoheitliche Zwecke oder Ähnliches) genutzt wurden. Dazu habe das erstinstanzliche FG noch Feststellungen zu treffen. Hier könne mangels Leistungsbezug für das Unternehmen eine Vorsteueraufteilung in Betracht kommen.
Hinweis
Es handelt sich bei diesem Urteil nicht um das Nachfolgeurteil zur EuGH-Vorlage C-344/22 „Gemeinde A“ (siehe Ausgabe 8 unseres Umsatzsteuer-Newsletters vom August 2023). Das betreffende Nachfolgeurteil wurde jedoch zeitgleich zu dem vorliegenden Urteil veröffentlicht. In diesem Urteil blieb der BFH (anders als im hier gegenständlichen Urteil) dabei, dass keine Dienstleistung gegen Entgelt vorliege und somit der Vorsteuerabzug nicht statthaft sei.
Das scheint aber dem besonderen Sachverhalt geschuldet zu sein, der dem EuGH-Urteil und somit auch dem Nachfolgeurteil zugrunde lag: So wurde zur Nutzung der Anlagen keine Kurkarte benötigt. Hierzu erläutert der BFH, dass nach nationalem Recht (das der EuGH nicht berücksichtigt habe) für die Erhebung der Kurtaxe in Wirklichkeit nicht schon der Aufenthalt im Gebiet der Kurgemeinde entscheidend sei, sondern ob die Kurtaxeschuldner keine anderen Vorteile hätten als Personen, die keine Kurtaxe schuldeten. Die Berechtigung der Gemeinde, eine Kurtaxe zu verlangen, knüpfe daran an, dass in der Gemeinde Kureinrichtungen vorhanden seien, von deren Nutzung der Gast (dem typisierend unterstellt wird, er halte sich um der Kureinrichtungen willen in der Gemeinde auf) einen Vorteil habe. Dieser verbrauchsfähige Vorteil rechtfertige erst die Erhebung der Kurtaxe. Ein Vorteil bestehe aber nicht, wenn die Kureinrichtungen für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich seien.
Im Übrigen stellt der BFH heraus, dass auch eine Leistungsbereitschaft als umsatzsteuerliche Leistung gelten könne, sodass es auf den Umfang der Inanspruchnahme der Leistung nicht ankomme. Was den Sachverhalt des vorliegenden Urteils angeht, so teilt er außerdem mit, dass es für eine wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin unerheblich sei, dass die Leistungen an die Tagesgäste von der Klägerin teilweise unbeabsichtigt erbracht werden, wenn diese erst nach erfolgter Kontrolle eine (erhöhte) Kurtaxe zahlen.
Der BFH befasst sich in seiner Entscheidung mit der Vorsteueraufteilung. Dabei hält er es für möglich, dass die Eingangsleistungen ausschließlich für besteuerte Umsätze verwendet wurden. Die mit den Eingangsleistungen für die Fremdenverkehrswerbung verbundenen Vorteile der Unternehmer, welche die Fremdenverkehrsabgabe entrichten, gingen über nebensächliche Vorteile nicht hinaus, und einen Zusammenhang dieser Eingangsleistungen mit der nichtwirtschaftlichen Tätigkeit der unentgeltlichen Überlassung der Einrichtungen an Einheimische hielt der BFH für unwahrscheinlich (was vermutlich heißt, dass die Werbung nicht die Einheimischen zur Nutzung der Anlage ermuntern sollte). Allerdings könne das erstinstanzliche FG die Frage der Verwendung der Eingangsaufwendungen im zweiten Rechtszug erneut erwägen. Gegebenenfalls wäre über die Frage zu entscheiden, ob bei der Anwendung eines Umsatzschlüssels auch Zuschüsse oder Ähnliches (wie die Fremdenverkehrsabgabe) zu dem im Rahmen der Schätzung maßgeblichen "Gesamtumsatz" gehörten.
Fundstellen
BFH XI R 33/21, Urteil vom 6. Dezember 2023; XI R 21/23 (XI R 30/19), Urteil vom 18. Oktober 2023 (Nachfolgeurteil zu EuGH C-344/22 „Gemeinde A“, Urteil vom 13. Juli 2023)
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