Aus der Finanzverwaltung
Falscher Steuerausweis in Rechnungen an Endverbraucher
Ende 2022 teilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Urteil „P GmbH“ („Finanzamt Österreich“) mit, dass eine Steuer nicht wegen falschen Steuerausweises geschuldet wird, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt – weil diese Dienstleistung ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurde, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) übernimmt in seinem Schreiben die Grundsätze dieser Rechtsprechung.
Das Schreiben
Dem Schreiben zufolge entsteht eine Steuerschuld wegen falschen Steuerausweises unter den folgenden Voraussetzungen nicht: Ein Unternehmer (auch Kleinunternehmer) erbringt tatsächlich eine Lieferung oder sonstige Leistung und stellt darüber eine Rechnung mit unrichtigem Steuerausweis (§ 14c Abs. 1 UStG) an einen Endverbraucher aus.
Nicht erfasst sind dem BMF zufolge Fälle des unberechtigten Steuerausweises (§ 14c Abs. 2 UStG). Dabei verweist es auf eine Passage im Urteil „P GmbH“, der es entnimmt, dass der Rechnung eine tatsächliche Leistungserbringung durch einen Unternehmer zugrunde liegen muss. Davon nimmt das BMF lediglich den Fall aus, dass ein Kleinunternehmer eine Leistung tatsächlich ausgeführt und hierüber eine Rechnung mit einem Steuerausweis an einen Endverbraucher ausgestellt hat.
Unter einem Endverbraucher versteht das BMF Nichtunternehmer und Unternehmer, die nicht als solche handeln. Das sind Unternehmer bei Leistungsbezug für ihren privaten Bereich oder für eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit im engeren Sinne. Zu den letzteren Tätigkeiten gehören Tätigkeiten, die weder privat (unternehmensfremd) noch unternehmerisch sind, zum Beispiel unentgeltliche Tätigkeiten eines Vereins, die aus ideellen Vereinszwecken verfolgt werden, hoheitliche Tätigkeiten juristischer Personen des öffentlichen Rechts und das bloße Erwerben, Halten und Veräußern von gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen.
In anderen Fällen – also in Fällen, in denen die Leistung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen erbracht wurde – soll nach Auffassung des BMF eine Steuerschuld infolge unrichtigen Ausweises entstehen, gleichgültig, ob dieser Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt war oder nicht: Daher entsteht die Steuer nach § 14c UStG auch dann, wenn die Rechnung zum Beispiel an einen Kleinunternehmer, einen pauschalierenden Land- und Forstwirt oder einen Unternehmer mit Ausgangsumsätzen, die den Vorsteuerabzug ganz oder teilweise ausschließen, erteilt worden ist. Die Frage, ob und inwieweit tatsächlich ein Vorsteuerabzug vorgenommen wurde, sei für die Entstehung des Anspruchs nicht von Bedeutung. Das BMF begründet das damit, dass ein Vorsteuerabzug auch in diesen Fällen nicht ausgeschlossen werden könne, zum Beispiel durch eine spätere Option des Leistungsempfängers zur Steuerpflicht, oder wegen einer späteren Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG (z. B. spätere Nutzung der Leistung durch den Leistungsempfänger auch für steuerpflichtige Zwecke).
Es obliege dem Finanzamt, nachzuweisen, dass der Steuerausweis ein unrichtiger oder unberechtigter Steuerausweis ist. Der Leistungsempfänger habe dagegen glaubhaft darzulegen bzw. plausibel zu begründen, dass die betreffende Rechnung an einen Endverbraucher ausgestellt wurde. In Fällen, in denen Rechnungen über dieselbe Leistung sowohl an Nichtunternehmer als auch an Unternehmer ausgestellt wurden, kommt es auf die einzelne Rechnung an: Nur soweit eine Rechnung nachweislich an einen Endverbraucher ausgestellt wurde, entsteht der Steueranspruch wegen unrichtigen Steuerausweises nicht. Unsicherheiten sollen zulasten des leistenden Unternehmers gehen: Eine Schätzung oder Wahrscheinlichkeitsberechnung usw. komme nicht infrage; in diesen Fällen kämen die „P GmbH“-Grundsätze nicht zur Anwendung. Diesen Grundsatz schränkt das BMF aber selbst wieder ein: Wenn Leistungen ihrer Art nach mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für das Unternehmen, sondern für den privaten Gebrauch bestimmt sind, könne die Art der Leistung berücksichtigt werden. Hierzu zieht das BMF den Katalog nach Abschnitt 3a.2 Abs. 11a UStG heran. Dieser Katalog sei aber unbeachtlich, sofern im Einzelfall feststehe, dass die Leistung nicht an einen Endverbraucher erbracht worden ist.
Ist nach alldem eine Steuerschuld nach § 14c UStG nicht entstanden, muss sie auch nicht berichtigt werden. Auch in bestimmten vom BMF eigens erwähnten Fällen trägt das zu einer Vereinfachung bei: so etwa in Fällen einer Ausfuhrlieferung im nichtkommerziellen Reiseverkehr (§6 Abs. 3a UStG), wenn nachträglich die Voraussetzungen der Steuerbefreiung hergestellt werden. Hier entfällt künftig eine Rechnungsberichtigung, weil die Waren in diesen Fällen per definitionem zu nichtunternehmerischen Zwecken erworben wurden und eine Steuer nach §14c Abs. 1 UStG nicht entsteht. Ähnliches (aber wie stets nur für Fälle, in denen an einen Endverbraucher geleistet wurde) gilt für Fälle, in denen ein Kleinunternehmer sich zwar zunächst gegen die Anwendung der Kleinunternehmerregelung entschieden und Rechnungen mit Steuerausweis ausgestellt, die Entscheidung später aber zurückgenommen hat.
Hinweise
In Sachverhalten, in denen die „P GmbH“-Grundsätze zur Anwendung gelangen, liegt unter den weiteren Voraussetzungen des BMF-Schreibens eine Steuerschuld aufgrund falschen Steuerausweises nicht vor. Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.
In absehbarer Zeit wird die vom BMF geäußerte Auffassung in mehreren Punkten durch den EuGH überprüft werden: Denn dasselbe Verfahren, dass der Entscheidung „P GmbH“ zugrunde lag, wurde dem EuGH ein zweites Mail vorgelegt (Az. C-794/23). Der österreichische Verwaltungsgerichtshof (VwGH) fragt den EuGH, ob die Grundsätze des ersten Urteils auch gelten, wenn der Steuerpflichtige neben seinen (mit falschem Steuersatz berechneten) Leistungen an Nichtsteuerpflichtige auch gleichartige Leistungen an andere Steuerpflichtige erbracht hat. Außerdem fragt er, ob als Endverbraucher auch ein Steuerpflichtiger zu verstehen ist, der die konkrete Leistung nur für private Zwecke oder für sonstige nicht zum Vorsteuerabzug berechtigende Zwecke in Anspruch nimmt und deshalb nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Das könnte dem EuGH die Möglichkeit eröffnen, die Grundsätze seines ersten Urteils auf Fälle auszudehnen, in denen zum Beispiel Leistungen an Unternehmer erbracht werden, die mit ihren Leistungen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. In diesem Zusammenhang sei ein am BFH anhängiges Verfahren erwähnt (XI R 25/23), in dem die Frage aufgeworfen wird, ob eine Steuerschuld nach § 14c UStG auch in Fällen entsteht, in denen der Rechnungsempfänger den Vorsteuerabzug keinesfalls mehr geltend machen konnte und somit kein Umsatzsteuerausfall drohte.
Schließlich wirft der VwGH in seinem Vorabentscheidungsersuchen auch die Frage auf, für welche im Rahmen einer vereinfachten Rechnungserteilung erteilten Rechnungen der Steuerpflichtige den zu Unrecht in Rechnung gestellten Betrag nicht schuldet, weil keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt. Dabei bringt der VwGH ausdrücklich die Möglichkeit einer Schätzung ins Spiel. In Deutschland entsprechen einer solchen vereinfachten Rechnungsstellung vor allem Kleinbetragsrechnungen – in diesen Fällen ist der Leistungsempfänger nicht zwingend anzugeben, entsprechend lässt sich kaum mit Sicherheit sagen, ob eine Rechnung an einen Unternehmer ausgestellt wurde oder nicht.
Ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen hat der deutsche Bundesfinanzhof (BFH) gestellt (Az. C-101/24). Hierbei ging es um sogenannte In-App-Käufe über einen von dem im Ausland ansässigen Dritten betriebenen Appstore an Nichtsteuerpflichtige im Inland (nach der Rechtslage vor dem Jahr 2015), für die deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen worden war. Die dort an den EuGH herangetragenen Fragen sind zwar primär anderer Natur (im Wesentlichen geht es um eine grenzüberschreitende Leistungskommission). Für den Fall, dass die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens erbrachten Leistungen nicht im Inland steuerbar sind, fragt der BFH jedoch, ob die von einem Dritten ausgewiesene deutsche Umsatzsteuer durch die Klägerin geschuldet wird. Im Streitfall droht eine Nichtbesteuerung der Leistungen: Der BFH fragt daher, ob dieser Umstand eine Gefährdung des Steueraufkommens darstellt. Er hält es auch für denkbar, dass ein „widersprüchliches Verhalten“ der deutschen Klägerin, die erst von einer Umsatzsteuerbarkeit ihrer Leistungen in Deutschland ausging und erst später ihre Auffassung änderte, eine Steuerschuldnerschaft wegen unrichtigen Steuerausweis rechtfertigen könnte. Ob der EuGH sich überhaupt mit dieser Frage des BFH auseinandersetzen wird, hängt jedoch von seiner Antwort auf die beiden ersten Fragen ab, die einen möglichen Leistungsort im Inland zum Gegenstand haben.
Das Schreiben unterbindet mit Ausnahme des Steuerausweises durch einen Kleinunternehmer keine Fälle des § 14c Abs. 2 UStG: Diesen Fällen sei gemeinsam, dass die zugrundeliegende Leistung nicht erbracht wurde. Es sollte beachtet werden, dass die Tatbestände des § 14c Abs. 2 UStG unter anderem auch Fälle betreffen, in denen über einen nichtsteuerbaren Schadenersatz abgerechnet wird oder die Rechnung eine unrichtige Leistungsbezeichnung enthält. Ob es dabei auch bleibt, muss sich weisen: Im erst jüngst veröffentlichten Urteil in der Rechtssache C-442/22 (siehe Ausgabe 2 unseres Umsatzsteuer-Newsletters vom Februar 2024) behandelte der EuGH einen Sachverhalt, in dem eine Angestellte Rechnungen über fiktive Leistungen ausstellte, was in Deutschland ein Fall des §14c Abs. 2 UStG wäre. Hierbei prüft der EuGH in einem ersten Schritt offenbar, ob überhaupt eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt.
Die Darlegungslast trifft den leistenden Unternehmer: Er hat nachzuweisen, dass die betreffende Leistung an einen Endverbraucher erbracht wurde. Das gilt auch für Massenfälle, in denen somit im Prinzip jede einzelne Rechnung beurteilt werden muss. Schätzungen und Wahrscheinlichkeitsrechnungen lässt das BMF ausdrücklich nicht zu. Kulanter scheint sich das BMF im Fall von Leistungen zu geben, die ihrer Art nach mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für das Unternehmen, sondern für den privaten Gebrauch bestimmt sind (vgl. Abschnitt 3a.2 Abs. 11a UStAE). Darunter fallen zum Beispiel Heilbehandlungen, Pflegeleistungen, Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen, sonstige Leistungen im Zusammenhang mit sportlicher Betätigung, Glücksspiel und bestimmte Onlineumsätze. Das BMF teilt mit, dass die Art der Leistung bei der Beurteilung berücksichtigt werden könne, ob der Leistungsbezieher als Endverbraucher gehandelt habe. Dieser Leistungskatalog sei aber dann unbeachtlich, wenn eine Leistung „im Einzelfall“ nicht an einen Endverbraucher erbracht wurde. Es wird nicht ganz deutlich, ob der Nachweis, dass im Einzelfall eine Leistung nicht an einen Endverbraucher erfolgte, im Sinne einer „Faule-Äpfel-Theorie“ für sämtliche gleichartigen Leistungen mangels anderer Anhaltspunkte zur Annahme einer Steuerschuld nach § 14c UStG führt oder ob eine solche Steuerschuld sich auf diese Einzelfälle beschränkt. Zumindest für den Fall, dass der leistende Unternehmer im Wege von Kleinbetragsrechnungen und Fahrscheinen abgerechnet hat, aus denen der Leistungsempfänger nicht hervorgehen muss, könnte (ebenso wie zur Frage der Zulässigkeit von Schätzungen) die dritte Frage des Vorabentscheidungsersuchens des VwGH etwas Klarheit bringen. Bereits die Generalanwältin am EuGH Juliane Kokott hatte in ihren Schlussanträgen im Verfahren zum ersten Urteil gegen Schätzungen nichts einzuwenden.
Wie das BMF ausführt, hat das EuGH-Urteil keine Auswirkung auf die Berechnung von Steuer und Entgelt. Ist zum Beispiel tatsächlich der ermäßigte Steuersatz statt des Regelsteuersatzes anzuwenden und hat der Unternehmer den Mehrbetrag nicht an den Leistungsempfänger zurückgezahlt, so soll die Berechnung auch bei Anwendung der „P GmbH“-Grundsätze entsprechend dem Beispiel in Abschnitt 14c.1 Abs. 5 UStAE vorzunehmen sein. Damit ist offenbar gemeint, dass im Fall einer Leistung zum ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent, für die Steuer zu 19 Prozent ausgewiesen wird, der Steuerbetrag von 7 Prozent aus dem Bruttobetrag herauszurechnen und als (gesetzlich geschuldete) Steuer abzuführen ist.
Fundstellen
BMF-Schreiben vom 27. Februar 2024
EuGH C-378/21 „P GmbH“, Urteil vom 8. Dezember 2022, am EuGH geführt unter „Finanzamt Östereich“; Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 8. September 2022
EuGH C-442/22 „P sp. z o.o.“, Urteil vom 30. Januar 2024, am EuGH geführt unter „Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Lublinie“
VwGH Ro 2023/13/0014 (EU 2023/0009), Beschluss vom 14. Dezember 2023, am EuGH geführt unter dem Az. C-794/23 "Finanzamt Österreich"
BFH XI R 10/20, EuGH-Vorlage vom 23. August 2023, am EuGH geführt unter dem Az. C-101/24 „Finanzamt Hamburg-Altona“
Am BFH anhängiges Verfahren XI R 25/23 zur Frage einer Steuerschuld nach §14c UStG
© 2017 - 2024 PwC. All rights reserved. PwC refers to the PwC network and/or one or more of its member firms, each of which is a separate legal entity. Please see www.pwc.com/structure for further details.