Vom Gerichtshof der Europäischen Union
Dreiecksgeschäfte mit vier Parteien

Nach Meinung des Gerichts der Europäischen Union (EuG) ist es für die Anwendung der Vereinfachungsregelung für innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte (in Deutschland vgl. § 25b UStG) unschädlich, wenn sich das Reihengeschäft auch auf eine nachfolgende Inlandslieferung im Zielland erstreckt. Interessant sind darüber hinaus die Ausführungen zu den Folgen, wenn der Zwischenerwerber an einem Mehrwertsteuerbetrug beteiligt ist.
Was ist die Vereinfachungsregelung für Dreiecksgeschäfte?
Die Vereinfachungsregelung für innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte setzt zunächst ein Reihengeschäft aus einem EU-Mitgliedsstaat in einen anderen voraus, in dem drei Parteien A, B („Zwischenerwerber“) und C („zweiter Abnehmer“) unmittelbar aufeinanderfolgende Lieferungen wie folgt ausführen: A führt an B eine innergemeinschaftliche Lieferung aus, B an C eine Inlandslieferung im Zielstaat. Unter gewöhnlichen Umständen wäre der Zwischenerwerber im Zielstaat wegen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs und der darauffolgenden (für ihn gewöhnlich steuerpflichtigen) Inlandslieferung registrierungspflichtig. Die Vereinfachungsregelung sieht vor, dass unter genau bestimmten Voraussetzungen der innergemeinschaftliche Erwerb des Zwischenerwerbers im Zielstaat als besteuert gilt und die Steuerschuldnerschaft für die Inlandslieferung auf den zweiten Abnehmer übergeht. Damit entfällt eine steuerliche Erfassung für den Zwischenerwerber im Zielstaat.
Zu den Voraussetzungen der Vereinfachungsregelung gehört unter anderem, dass der Zwischenerwerber gegenüber beiden Geschäftspartnern die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-ID) eines EU-Mitgliedsstaats verwendet, der weder der Ausgangs- noch der Zielstaat der Warenbewegung ist. Treten die Folgen des innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts nicht ein (z. B. weil nicht alle Voraussetzungen der Vereinfachungsregelung vorliegen), so werden die allgemeinen Regelungen anwendbar. Dann kann es für den Zwischenerwerber unter anderem auch zu einem „fiktiven Erwerb“ in dem Mitgliedsstaat kommen, der die von ihm verwendete USt-ID ausgegeben hat (in Deutschland vgl. § 3d Satz 2 UStG). Dieser fiktive Erwerb, der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, bleibt bestehen, bis der Zwischenerwerber nachweist, dass der innergemeinschaftliche Erwerb durch den Zielstaat besteuert worden ist oder im Sinne der Vereinfachungsregelung als besteuert gilt.
Sachverhalt
Die slowenische Klägerin des Ausgangsverfahrens erwarb von in Deutschland registrierten Lieferern Trester und Rapsöl, die sie an drei dänische Gesellschaften weiterverkaufte. Die Klägerin verwendete ihre slowenische Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer (MwSt-ID) und organisierte den Transport von Deutschland nach Dänemark. Wie sich herausstellte, hatten die dänischen Gesellschaften weder die Vorgänge in entsprechender Weise gemeldet noch die Mehrwertsteuer entrichtet: Nach Auskunft der dänischen Finanzverwaltung hatte es sich bei ihnen um "missing traders" gehandelt. Die drei Firmen hätten die Ware nicht tatsächlich in Empfang genommen. Vielmehr seien die Waren von der Klägerin, die den Transport organisiert hatte, an Lager oder Mischanlagen in Dänemark geliefert worden. Dort hatten andere Unternehmer die Waren abgeholt – aber nicht als Kunden einer der drei Gesellschaften, sondern als Kunden einer weiteren dänischen Gesellschaft namens ANC. Das Reihengeschäft hatte sich also vom deutschen Lieferer über die Klägerin und (jeweils einer der) drei dänischen Gesellschaften bis zur ANC nicht auf drei, sondern auf vier Parteien erstreckt. Die slowenische Steuerverwaltung sah die Voraussetzungen der Vereinfachungsregelung nicht erfüllt an: Der dritte Wirtschaftsteilnehmer in der Lieferkette habe keine Verfügungsgewalt über die Waren erhalten. Daher habe die Klägerin in Slowenien einen fiktiven Erwerb zu besteuern.
Das slowenische Vorlagegericht fragte zum einen, ob es für die Anwendung der Vereinfachungsregelung schädlich sei, wenn das zugrunde liegende Reihengeschäft auch eine nachfolgende Lieferung an eine vierte Partei umfasse. Zum anderen fragte es nach den Folgen im Fall, dass die Klägerin sich an einem Mehrwertsteuerbetrug beteiligt haben sollte.
Entscheidung
Das Vorlagegericht hatte in Zweifel gezogen, ob sich die Vereinfachungsregelung auch dann anwenden lässt, wenn sich das Reihengeschäft über die drei unmittelbar an dem innergemeinschaftlichen Dreieck beteiligten Parteien erstreckt. Art. 141 lit. c MwStSystRL verlangt die Versendung oder Beförderung der Gegenstände unmittelbar „an die Person, … an die er die anschließende Lieferung bewirkt“, in lit. d ist die Rede vom „Empfänger der anschließenden Lieferung“.
Nach Auffassung des EuG verlangen diese Vorschriften weder, dass der Beteiligte (der zweite Abnehmer) die tatsächliche Verfügungsgewalt über den körperlichen Gegenstand erlangt, noch dass dieser physisch zu ihm befördert und/oder physisch von ihm in Empfang genommen wird. Im Rahmen des Beförderungsvorgangs könne eine Lieferung zu der Person bewirkt werden, an die der Empfänger den körperlichen Gegenstand weiterverkauft habe, sofern – so der Leitsatz – der Liefergegenstand in demselben Mitgliedsstaat an einen dort umsatzsteuerlich erfassten Unternehmer weiterverkauft werde. Ob dem Zwischenerwerber bekannt sei, dass die Beförderung nicht an den zweiten Abnehmer, sondern an dessen Kunden erfolge, sei ohne Bedeutung.
Wie das EuG weiter ausführt, kann sich ein Steuerpflichtiger, der sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung beteiligt und das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdet, nicht mit Erfolg auf die Vorteile berufen, die die Vereinfachungsregelung ihm gewährt. Ihm seien gegebenenfalls die Inanspruchnahme der in den Art. 42 und 141 dieser Richtlinie vorgesehenen Regelung (also der steuerbefreite Erwerb) und darüber hinaus die in Art. 41 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene Minderung der Steuerbemessungsgrundlage (also der Wegfall der Steuerschuld aus dem fiktiven Erwerb) zu versagen.
Hinweis
Das Urteil ist zunächst insofern interessant, als es die Gestaltungsmöglichkeiten der Unternehmer ausweitet. Schon bislang ließ es die deutsche Finanzverwaltung zu, dass den beiden Lieferungen, auf die sich die Vereinfachungsregelung bezieht, im Reihengeschäft weitere Lieferungen vorausgehen dürfen (Abschnitt 25b.1 Abs. 2 Satz 2 UStAE). Die Entscheidung des EuG macht es im Prinzip möglich, dass die Vereinfachungsregelung für Dreiecksgeschäfte auf zwei unmittelbar aufeinanderfolgende Lieferungen anwendbar wird, die irgendwo in einem längeren Reihengeschäft vor sich gehen.
Durch die Nichtanwendung der Vereinfachungsregelung wegen Beteiligung an einem Steuerbetrug kann neben dem innergemeinschaftlichen Erwerb im Zielstaat nach dem Urteil auch der fiktive Erwerb zur definitiven Belastung werden. Das bedeutet, dass ein Zwischenerwerber, der die Vereinfachungsregelung für Dreiecksgeschäfte für sich in Anspruch nehmen möchte, besonders gut daran tut, große Sorgfalt darauf zu verwenden, den Vorwurf einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung zu vermeiden. Für eine solche Beteiligung genügt es dem Urteil zufolge, dass der Erwerber wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem Umsatz, für den er die Vereinfachung geltend macht, an einem in einer vor- oder nachgelagerten Umsatzstufe begangenen Missbrauch beteiligt.
Fundstellen
EuG T-646/24 „MS Ključarovci“, Urteil vom 3. Dezember 2025

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