Aus der Rechtsprechung

Zum Verhältnis zwischen Vorsteuer-vergütungsverfahren und Veranlagungsverfahren

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat einem Nicht-EU-Unternehmer, der vom Vorsteuervergütungsverfahren ausgeschlossen war, den Vorsteuerabzug im Veranlagungsverfahren zugesprochen. Im Einzelfall können Unternehmer, die in zurückliegenden Jahren im Vergütungsverfahren die Vorsteuer nicht oder nicht in voller Höhe geltend machen konnten, diese Steuer nachträglich im Veranlagungsverfahren geltend machen.

Sachverhalt

Die nicht in der EU ansässige Klägerin hatte im September 2018 Flüssiggas von B gekauft, das sie gleichzeitig im September 2018 an einen Abnehmer weiterverkaufte. Das Gas befand sich während der Lieferung in Deutschland. Während die Klägerin ihrem Abnehmer Umsatzsteuer berechnete, wies die B in ihrer Rechnung gegenüber der Klägerin zunächst keine Steuer aus. Hinzu kamen Demurrage-Kosten („Liegegeld“, also das Entgelt für die Überschreitung der vereinbarten Lade- oder Löschzeit eines Frachtschiffes), die sowohl die B der Klägerin als auch diese ihrem Abnehmer ohne Steuerausweis im Jahr 2019 in Rechnung stellte. Andere Inlandsumsätze erzielte die Klägerin weder 2018 noch in den Folgejahren.

Die Klägerin ließ sich im Inland umsatzsteuerlich erfassen und gab eine Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2018 ab. Erst im Januar 2019 erstellte B eine korrigierte Rechnung mit Umsatzsteuerausweis an die Klägerin. Daher übermittelte die Klägerin dem FA eine Umsatzsteuer-Voranmeldung für Januar 2019, mit der sie nur die Vorsteuer aus dieser Rechnung erklärte. Das Finanzamt lehnte die Bearbeitung der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Januar 2019 ab, weil in diesem Zeitraum die Voraussetzungen für das Veranlagungsverfahren nicht vorgelegen hätten. Ein Antrag im Vergütungsverfahren war der Klägerin mangels Gegenseitigkeit (vgl. § 18 Abs. 9 Satz 6 UStG) jedoch nicht möglich. Außerdem lehnte das Finanzamt einen Vorsteuerabzug im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr 2018 ab, weil die Rechnung mangels Steuerausweis nicht mit Rückwirkung korrigiert worden sei.

Entscheidung

Nach Auffassung des BFH konnte die Klägerin den Vorsteuerabzug im Veranlagungsverfahren für den Zeitraum Januar 2019 geltend machen. Das Vorsteuerabzugsrecht entstehe bereits, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer (hier für die Lieferung der B an die Klägerin) entstehe. Der BFH ist im Ergebnis der Auffassung, dass dieser Zeitpunkt – nicht der Zeitpunkt des Rechnungserhalts – für die Bestimmung des anzuwendenden Verfahrens maßgeblich ist. Hier sei das Vorsteuerabzugsrecht im Jahr 2018 entstanden. Für den Vorsteuerabzug könne die Klägerin daher nicht auf das Vergütungsverfahren verwiesen werden: Dieses Verfahren sei im Wesentlichen dann durchzuführen, wenn der Unternehmer im relevanten Vergütungszeitraum im Inland keine steuerbaren Umsätze ausgeführt hat. Im Zeitraum der Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts im Jahr 2018 habe die Klägerin aber nahezu zeitgleich solche Umsätze an ihren Abnehmer ausgeführt.

Davon sei die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug zu unterscheiden, die den Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung voraussetze. Eine solche Rechnung habe erst im Januar 2019 vorgelegen, eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Rechnungsausstellung 2018 komme wegen des fehlenden Steuerausweises nicht infrage. Der Zeitpunkt, zu dem der Steuerpflichtige in den Besitz der Rechnung gelangt sei, bestimme (hier) nur den Besteuerungszeitraum, in dem das 2018 entstandene Recht auf Vorsteuerabzug ausgeübt werden könne – das also im Rahmen einer Umsatzsteuer-Voranmeldung 2019 geltend zu machen war. Darauf, dass im Januar 2019 keine steuerbaren Ausgangsumsätze ausgeführt worden waren, kam es nach Auffassung des BFH also nicht an.

Was die Demurrage-Kosten anging, schloss der BFH nichtsteuerbaren Schadenersatz aus; es handelte sich seiner Meinung nach um Beförderungskosten, die das Schicksal der Hauptleistung (hier der Gaslieferung) teilen. Diese Kosten unterfielen also der Umsatzsteuer, waren aber nicht als eigenständige Dienstleistungen zu besteuern. Der BFH ließ zur weiteren Prüfung offen, ob diese Kosten von vornherein zum Entgelt gehören (§ 10 UStG) oder ob sie zu einem späteren Zeitpunkt eine Änderung der Bemessungsgrundlage (§ 17 UStG) darstellen.

Hinweis

Beim Vorsteuerabzug sind zwei Zeitpunkte zu unterscheiden, die ohne Weiteres einige Monate auseinanderfallen können:

  • der Zeitraum, in dem das Vorsteuerabzugsrecht entsteht – das ist der Zeitraum, in dem der (Ausgangs-)Steueranspruch auf die zugrunde liegende Leistung entsteht (im Regelfall der Sollbesteuerung grundsätzlich der Zeitraum, zu dem die Leistung ausgeführt wurde), und
  • der Zeitraum, in dem es ausgeübt werden kann – dafür ist grundsätzlich der Zeitpunkt maßgeblich, in dem der Unternehmer (gegebenenfalls infolge einer rückwirkenden Korrektur) über eine valide Rechnung im Sinne der §§ 14, 14a UStG verfügt.

Dem BFH zufolge bestimmt offenbar der erste Zeitpunkt (hier 2018) das anwendbare Verfahren (Veranlagung oder Vergütung) und der zweite Zeitpunkt den Zeitraum, für den die Vorsteuer abgezogen werden kann (hier Januar 2019).

Das Urteil wird für Unternehmer in ähnlichen Situationen häufig von Vorteil sein: Der Vorsteuerabzug im Veranlagungsverfahren und Vergütungsverfahren schließen sich gegenseitig aus. Im Allgemeinen ist jedoch das Veranlagungsverfahren gegenüber dem Vorsteuervergütungsverfahren eher vorteilhaft: Besonders für Nicht-EU-Unternehmer kann der Vorsteuerabzug im Vorsteuervergütungsverfahren mangels Gegenseitigkeit gänzlich ausgeschlossen oder nur unter Einschränkungen möglich sein, und für die Antragstellung sind in diesem Verfahren knappe Ausschlussfristen vorgesehen. Hinzu kommt die mitunter monatelange Bearbeitungszeit für Vorsteuervergütungsanträge.

Im Einzelfall kann zu prüfen sein, ob die Vorsteuer (erstmalig oder in Hinblick auf einen möglichen höheren Erstattungsbetrag) im Lichte des vorliegenden Urteils im Veranlagungsverfahren geltend gemacht werden kann. Das gilt vor allem dann, wenn die Antragsfrist bereits verstrichen oder wenn ein Unternehmer wegen fehlender Gegenseitigkeit von der Antragstellung ausgeschlossen ist – aber auch in Hinblick auf bestimmte Vorsteuerbeträge, die im Vergütungsverfahren nicht erstattet werden (z. B. können Nicht-EU-Unternehmer grundsätzlich keine Vorsteuer auf den Bezug von Kraftstoff im Vorsteuervergütungsverfahren geltend machen). Dabei ließe sich im Rahmen der Anlaufhemmung und der Festsetzungsverjährung in vielen Fällen bis zu sieben Jahre zurückgehen.

Dabei ist allerdings zu beachten, dass nicht jeder Sachverhalt zur Anwendung der im Urteil genannten Grundsätze auch geeignet ist. Sofern eine Registrierung lediglich wegen Übergangs der Steuerschuldnerschaft und/oder wegen falschen Steuerausweises erfolgt, lassen sich grundsätzlich das Vergütungsverfahren oder (selbst im Veranlagungsverfahren) gewisse Einschränkungen dieses Verfahrens nicht vermeiden.

Fundstellen

BFH XI R 17/22, Urteil vom 25. Juni 2025

Wollen Sie diesen Newsletter weiterempfehlen?

oder haben Sie diesen Newsletter weitergeleitet bekommen und wollen diesen als Bestandteil des Informationsservice von PwC erhalten?

Zur Anmeldung

© 2017 - 2025 PwC. All rights reserved. PwC refers to the PwC network and/or one or more of its member firms, each of which is a separate legal entity. Please see www.pwc.com/structure for further details.

Impressum

Datenschutzerklärung

Cookie-Einstellungen

Follow us