Vom Europäischen Gerichtshof
Innergemeinschaft-liche Lieferungen und Tooling

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) lehnt es im Streitfall ab, eine Inlandslieferung von Formen zur Fertigung von in anderen EU-Mitgliedsstaaten gelieferte Bauteile als innergemeinschaftliche Lieferung anzusehen – auch nicht als Nebenleistung zu einer solchen Lieferung. Seine Ausführungen sind auch in Hinblick auf eine fast fünfzig Jahre alte Weisungslage des Bundesfinanzministeriums (BMF) im Tooling-Bereich interessant.
Sachverhalt
Die Klägerin war eine slowakische Gesellschaft. Ihre Tätigkeit bestand unter anderem in der Herstellung von Fensterhebern und Türmodulen für Kraftfahrzeuge. Dazu kaufte sie innergemeinschaftlich Bauteile von dem in Bulgarien ansässigen Unternehmen IME. Die deutsche Konzerngesellschaft der Klägerin (DE) hatte bei IME ein spezielles Gerät (Werkzeug) für die Herstellung dieser Bauteile bestellt. Das Eigentum an diesem Gerät ging auf DE über, das Gerät verblieb aber bei IME, die es ausschließlich zur Herstellung der genannten Bauteile für die Klägerin verwendete. Später verkaufte DE dieses Werkzeug an die Klägerin unter Ausweis bulgarischer USt, das Gerät blieb aber auch weiterhin bei IME zur Herstellung der genannten Bauteile. Die Klägerin beantragte die Erstattung dieser in Rechnung gestellten bulgarischen Mehrwertsteuer im Wege des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens, was die bulgarischen Behörden ablehnten.
Das Vorlagegericht ging davon aus, dass die Lieferung des Geräts mehrwertsteuerlich ebenso zu behandeln sei wie die innergemeinschaftlichen Lieferungen der Bauteile, weil die Lieferungen „künstlich aufgespalten“ worden seien. Im Vergütungsverfahren für andere EU-Unternehmer sei aber wegen Art. 4 lit. b der Richtlinie 2008/9/EU die Erstattung der Mehrwertsteuer auf innergemeinschaftliche Lieferungen ausgeschlossen.
Entscheidung
Der EuGH stellte fest, dass das Gerät in Bulgarien geliefert wurde. Der Umstand, dass das Gerät im Besitz der IME geblieben war, die es selbst nutzte, ändere daran nichts. Die Lieferung als solche könne daher nicht als innergemeinschaftliche Lieferung eingestuft werden, weil das Gerät nicht physisch in einen anderen EU-Mitgliedsstaat gelangt sei. Den Lieferungen des Geräts und der Bauteile lägen unterschiedliche Verträge zweier voneinander unabhängiger Leistungserbringer zugrunde, so dass sie jeweils für sich genommen einer eigenen wirtschaftlichen Logik folgen. Zudem sei auch nicht behauptet worden, dass die Klägerin damit einen ungerechtfertigten Steuervorteil habe erlangen wollen.
Der EuGH befasst sich im Weiteren mit der Frage, ob eine Nebenleistung zu einer Hauptleistung vorliege. Eine Nebenleistung habe für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck, sondern stelle das Mittel dar, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Zwar bilde das Gerät eine Vorbedingung für jede spätere Lieferung der mit seiner Hilfe hergestellten Gegenstände: Insofern könne sein Erwerb in diesem Sinne ein Mittel darstellen. Wenn aber diese Leistungen (wie hier) für den Kunden jeweils eine eigene Funktion oder einen eigenen Zweck hätten, könne nicht die eine von ihnen als Nebenleistung zur anderen eingestuft werden.
Ein starkes Indiz für einen solchen eigenen Zweck stelle der Umstand dar, dass dem Erwerber des Geräts eine Sicherheit verschafft wird, die es ihm ermöglicht, seine Position gegenüber dem Lieferer zu sichern, insbesondere im Fall von dessen Zahlungsunfähigkeit, oder der Erwerb es dem Erwerber ermöglicht, das Gerät zu übertragen oder an einen anderen Ort zu verbringen, falls das Herstellungsverfahren dies erfordert. Das Gerät werde als Werkzeug während des gesamten Produktionszyklus der mit seiner Hilfe hergestellten Bauteile verwendet, sodass es auch insofern einen eigenen Zweck erfülle. Außerdem entsprächen die Lieferung des Geräts einerseits und der Bauteile andererseits unterschiedlichen Stufen im Herstellungsprozess. Nach Meinung des EuGH könnte dieser Umstand es rechtfertigen, diese verschiedenen Lieferungen als voneinander unabhängige Leistungen einzustufen.
Im Ergebnis handelte es sich auch nicht um eine Nebenleistung zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung, sodass die Erstattung der Vorsteuer auf die Lieferung des Geräts nicht durch Art. 4 lit. b der Richtlinie 2008/9/EU ausgeschlossen war.
Hinweis
Der EuGH prüft recht umfangreich, ob die Lieferung des Geräts als Nebenleistung zu der Hauptleistung der innergemeinschaftlichen Lieferung der Bauteile infrage kommt. Die deutsche Umsatzsteuerpraxis hätte diese Prüfung wohl schlicht mit einem Verweis auf den Umstand abgetan, dass die Lieferungen des Geräts bzw. der Bauteile an die Klägerin durch verschiedene Unternehmer getätigt wurden (der EuGH bringt das zwar zur Sprache, aber lässt es dabei bewenden). Eine Ausnahme wäre möglicherweise bei künstlicher Aufspaltung der Leistung auf zwei Unternehmen in einem Missbrauchsfall denkbar, wenn damit ein ungerechtfertigter Steuervorteil erlangt werden soll – was der EuGH in Hinblick auf die unionsrechtliche Rechtslage in seinem Urteil im Ergebnis ebenfalls prüft (in Deutschland vgl. § 42 AO). Davon abgesehen wird im Urteil nicht klar erkennbar, ob und unter welchen Umständen (wenn überhaupt) Leistungen zweier Unternehmer tatsächlich als Haupt- und Nebenleistung gelten könnten – was der EuGH ausweislich des Leitsatzes anscheinend für möglich hält.
Das Urteil beansprucht aber aus einem anderen Grund Interesse: Es zieht auch ein fast 50 Jahre altes, aber noch gültiges Schreiben des BMF vom 27. November 1975 in Zweifel, das sich nach seinem Wortlaut zwar nur auf Ausfuhren bezieht, allerdings auch lange vor der Einführung des europäischen Binnenmarkts 1992 veröffentlicht wurde. Dieses Schreiben, das sich mit dem sogenannten Tooling befasst, unterscheidet sich zwar in einem wichtigen Punkt vom EuGH-Urteil: Es behandelt den Fall, dass die Geräte (Formen, Modelle oder Werkzeuge) dem ausländischen Abnehmer vom selben Unternehmer zur Verfügung gestellt werden, der auch die Liefergegenstände (Bauteile) fertigt. Dennoch könnte das Urteil auch die Anwendung dieses Schreibens betreffen.
Das BMF sieht die Lieferung der Geräte an den ausländischen Abnehmer unter anderem im folgenden Fall als Nebenleistung zur Hauptleistung der Lieferung der mit diesem Gerät zu fertigenden Gegenstände an: Die Verfügungsmacht über das Gerät geht zwar auf den ausländischen Abnehmer über, der aber das Gerät nicht für eigene wirtschaftliche Zwecke verwenden, sondern lediglich durch den Erwerb verhindern möchte, dass sein Lieferer das Gerät zur Herstellung von Gegenständen für andere Unternehmer verwendet. Das müsse sich aus den vertraglichen Vereinbarungen ergeben.
Nun bezeichnet der EuGH den Fall, dass der ausländische Abnehmer seine Position gegenüber dem Erwerber sichern möchte, als einen (für eine Nebenleistung schädlichen) eigenen Zweck, der nicht mit dem Zweck der Lieferungen der Bauteile übereinstimmt. Der EuGH erwähnt hier „insbesondere“ die Sicherung des ausländischen Abnehmers für den Fall der Zahlungsunfähigkeit seines Lieferers. Eine Sicherung gegen anderweitige Verwendung des Geräts für andere Abnehmer lässt sich jedoch gleichfalls recht zwanglos als Maßnahme der Sicherung der Position des Abnehmers verstehen.
Hinzu kommt, dass der EuGH im Urteil nicht nur den Umstand als Argument heranzieht, dass das Gerät während des gesamten Produktionszyklus der mit seiner Hilfe hergestellten Gegenstände verwendet wird, sondern auch den Umstand, dass die beiden in Rede stehenden Lieferungen verschiedenen Stufen des Herstellungsprozesses entsprechen. Auch das könnte ein Grund sein, eine selbständige Leistung anzunehmen, unter weiteren Voraussetzungen möglicherweise auch dann, wenn der Unternehmer das Gerät dem ausländischen Abnehmer nicht übereignet und dann wohl so etwas wie eine Dienstleistung in Form der Überlassung des Gerätes anzunehmen wäre.
Sollte die umsatzsteuerliche Lieferung des Geräts statt als Nebenleistung zur Ausfuhr (oder, im Schreiben freilich nicht ausdrücklich genannt, zur innergemeinschaftlichen Lieferung) als selbstständige Leistung anzusehen sein, so wäre diese Lieferung nicht nur nicht steuerfrei – es handelte sich um eine in Deutschland steuerbare und wahrscheinlich steuerpflichtige Inlandslieferung. Weitere Auswirkungen, zum Beispiel gegebenenfalls auf die in Zusammenfassenden Meldungen angegebenen Werte, sind nicht ausgeschlossen.
Fundstellen
EuGH C-234/24 „Brose Prievidza“, Urteil vom 23. Oktober 2025;
BMF-Schreiben vom 27. November 1975, Az. IV A 3-S 7131-59/75, BStBl. I 1975, S. 1126

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