Vom Europäischen Gerichtshof

Über einen Appstore verkaufte elektronisch erbrachte Dienstleistungen – Rechtslage vor 2015

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist der Auffassung, dass die im Jahr 2015 eingeführte Regelung des Art. 9a MwStVO (vgl. § 3 Abs. 11a UStG) für über einen Appstore und ähnliche Einrichtungen bewirkte elektronisch erbrachte Dienstleistungen zwar nicht direkt auf früher umgesetzte Sachverhalte anwendbar ist, aber seine Wertungen berücksichtigt werden können. Außerdem bestätigt er, dass bei einer Leistungskommission der Ort der Leistung für jede der beiden fiktiven Leistungen eigenständig zu bestimmen ist, und bekräftigt seine Rechtsprechung, dass ein falscher Steuerausweis bei an Nichtunternehmer erbrachten Leistungen grundsätzlich keine Steuerschuld nach sich zieht.

Sachverhalt

Die Klägerin entwickelte Spiele-Apps für mobile Endgeräte, für deren Vertrieb sie einen internetbasierten Appstore nutzte. Dieser Appstore wurde in den Streitjahren (2012 bis 2014) von einer irischen Gesellschaft X betrieben. Die Apps selbst waren kostenlos, die Endkunden konnten jedoch entgeltlich direkt in der Spiele-App der Klägerin Verbesserungen auswählen und erwerben (sogenannte In-App-Käufe). So konnten sie in den Spielen besser vorankommen oder andere Vorteile genießen. Diese In-App-Käufe wurden über den Appstore abgewickelt und nach Zahlung freigeschaltet.

Im Einzelnen öffnete sich nach Auswahl eines kostenpflichtigen Artikels durch den Endkunden in der Spiele-App ein Pop-up-Fenster, in dem das ausgewählte Produkt, der Bruttopreis sowie die Zahlungsart genannt wurden. Sodann betätigte der Endkunde den „Kaufen“-Button, und ein zweites Fenster öffnete sich, in dem noch einmal auf den Kaufgegenstand, den Preis sowie die Zahlungsmethode hingewiesen wurde. Schließlich öffnete sich nach Anklicken des „Bestätigen“-Buttons ein drittes Fenster mit dem Hinweis, dass die Zahlung erfolgreich gewesen sei. Der Endkunde konnte danach unmittelbar in der Spiel-App mit dem Spiel fortfahren. In den drei Fenstern war nur das Logo von X zu sehen. Die Klägerin wurde nicht als Leistende genannt. Der Endkunde erhielt nach dem Kaufvorgang von X eine Bestellbestätigung per E‑Mail, die das Logo des Appstores und die Angabe enthielt, dass bei der Klägerin eingekauft worden sei. Ferner wurden der Bruttopreis und die darin enthaltene (deutsche) Umsatzsteuer genannt. X stellte der Klägerin für jeden Kauf eine Provision von 30 Prozent in Rechnung.

Zunächst erklärte die Klägerin in der Annahme, dass sie ihre Leistungen direkt an die Endkunden erbracht hatte (B2C), deutsche Umsatzsteuer für Endkunden aus der EU. Später berichtigte sie ihre Umsatzsteuerklärungen: Sie habe ihre Leistungen im Rahmen eines Kommissionsgeschäfts (mit der Fiktion zweier Leistungen, nämlich des Kommittenten an den Kommissionär und von diesem an den Endkunden) an X erbracht (B2B), eine in Irland ansässigen Unternehmerin, so dass sie für die In-App-Käufe keine deutsche Umsatzsteuer schulde. Das Finanzamt beharrte auf der Auffassung, X sei lediglich Vermittlerin gewesen.

Entscheidung

Das Vorlagegericht – der deutsche Bundesfinanzhof (BFH) – hatte zunächst die Frage gestellt, ob im vorliegenden Fall für die Leistungserbringung über einen Appstore die Fiktion einer Doppelleistung im Kommissionsgeschäft (Art. 28 MwStSystRL, vgl. § 3 Abs. 11 UStG) anzuwenden sei. In den hier maßgeblichen Jahren 2012 bis 2014 war der heutige Art. 9a MwStVO noch nicht in Kraft getreten. Diese Vorschrift regelt im Detail, unter welchen Voraussetzungen über (beispielsweise) einen Appstore elektronisch erbrachte Dienstleistungen als Kommissionsleistungen mit dem Appstore als Kommissionär gelten. Der BFH wies darauf hin, dass diese Vorschrift nach der Rechtsprechung des EuGH lediglich den Regelungsgehalt des schon damals gültigen Art. 28 MwStSystRL konkretisiere, was dafür spreche, dass die dort niedergelegten Grundsätze auch auf die Umsätze der Klägerin vor diesem Zeitpunkt Anwendung finden könnten.

Im Ergebnis war der EuGH der Auffassung, dass eine Anwendung der Leistungskommission nach Art. 28 MwStSystRL durch die erst nach Ende des Bestellvorgangs dem Kunden zugänglich gemachte Bestellbestätigung, in der die Klägerin als leistenden Unternehmerin genannt wurde, nicht ausgeschlossen sei, „wenn sich aus den anderen relevanten Gesichtspunkten ergibt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschrift erfüllt sind“. Damit scheint der EuGH den Umstand zu meinen, dass beim durchschnittlichen Endkunden die Erwartung geweckt worden sei, mit X als Vertragspartnerin und Verkäuferin zu tun zu haben (Einbettung der Produkte in die Appstore-Oberfläche, Erfordernis der Anmeldung und des Akzeptierens der Nutzungsbedingungen der X, die während des Kaufvorgangs nicht hinreichend deutlich im Namen eines anderen aufgetreten sei). X war demnach also im eigenen Namen, aber für Rechnung eines Dritten – als Kommissionär, nicht als Vermittler – tätig geworden.

Im Weiteren führt der EuGH aus, dass sich im vorliegenden Fall gegebenenfalls der Ort der Leistung der Klägerin als Kommittent an X als Kommissionär nach Art. 44 MwStSystRL (vgl. § 3a Abs. 2 UStG) bestimme, also nach dem Ort des Dienstleistungsempfängers – hier also in Irland. In anderen Worten richtet sich der Leistungsort der fingierten Leistung des Kommittenten an den Kommissionär nicht nach der Leistung an den Endkunden, sondern ist eigenständig zu bestimmen.

Die Klägerin schulde die in der Rechnung an den Endkunden ausgewiesene Umsatzsteuer nicht wegen falschen Steuerausweises, weil die betreffenden Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige erbracht worden seien. Daher drohe keine Gefährdung des Steueraufkommens. Hierbei komme es weder darauf an, dass eine Nichtbesteuerung der Umsätze drohte, noch dass sich die Klägerin – wie der BFH meinte – widersprüchlich verhalten haben mochte (sie hatte X ermächtigt, sie in den Bestellbestätigungen als leistenden Unternehmer zu bezeichnen und entsprechend Umsatzsteuer einzuziehen, dann aber gegenüber dem Finanzamt eine andere Haltung eingenommen).

Hinweis

Das Urteil behandelt die Rechtslage vor dem Jahr 2015. Abgesehen davon, dass damals der Art. 9a MwStVO noch nicht in Kraft getreten war, war der Leistungsort für elektronisch erbrachte Dienstleistungen von EU-Unternehmern an EU-Privatkunden der Ort, an dem der leistende Unternehmer sein Unternehmen betrieb (bei einem in Deutschland ansässigen Unternehmer wie der Klägerin also Deutschland).

Der EuGH geht in seinem Urteil auch auf die Frage ein, ob und inwiefern der damals noch nicht anwendbare Art. 9a MwStVO für den Sachverhalt von Bedeutung war. Diese Vorschrift regelt im Einzelnen (mit Ausnahmen und Rückausnahmen), wann für elektronisch erbrachte Dienstleistungen ein Appstore-Betreiber oder ähnlicher Unternehmer im Rahmen einer Leistungskommission auftritt. Bereits in seinem Urteil in der Rechtssache „Fenix International“ hatte der EuGH (für einen nach Einführung der Vorschrift des Art. 9a MwStVO umgesetzten Sachverhalt) mitgeteilt, dass Art. 9a MwStVO die Vorschrift des Art. 28 MwStSystRL nicht ändere, sondern nur erläutere. Der EuGH zieht daraus die Konsequenz: Aus dem Umstand, dass Art. 9 Abs. 1 MwStVO im Streitzeitraum noch nicht anwendbar war, könne nicht gefolgert werden, dass Art. 28 MwStSystRL in Bezug auf diesen Zeitraum anders auszulegen sei, als es sich aus diesem Art. 9a Abs. 1 MwStVO ergebe. Das soll offenbar heißen, dass die Wertungen des Art. 9a MwStVO jedenfalls im Grundsatz durchaus für frühere Zeiträume berücksichtigt werden könnten.

Was die Ausführungen des EuGH zum falschen Steuerausweis angeht, erscheinen zwei Umstände bemerkenswert: Erstens geht der EuGH ohne Weiteres von einer Rechnungstellung an Nichtsteuerpflichtige aus, die das Steueraufkommen nicht gefährde. Er stellt den Begriff der Nichtsteuerpflichtigen sogar dem Begriff der Steuerpflichtigen gegenüber, die eine Dienstleistung für die Zwecke ihres Unternehmens beziehen. In seinem Urteil „P GmbH II“ hatte er noch deutlich gemacht, dass Leistungen an Unternehmer für deren nichtunternehmerischen Bereich vom Begriff des Endverbrauchers ausgenommen seien – die aber auch im vorliegenden Sachverhalt wohl kaum als Endkunden auszuschließen sind. Zweitens könnte hier (nach „deutschen“ Begriffen) ein Fall des unberechtigten Steuerausweises vorliegen, weil die Klägerin keine Leistung an den Endkunden erbracht (bzw. einen unzutreffenden Leistungsempfänger angegeben) hatte. Bislang schließt die deutsche Finanzverwaltung Fälle des unberechtigten Steuerausweises vom Grundsatz aus, dass ein falscher Steuerausweis an Nichtunternehmer keine Steuerschuld wegen falschen Ausweises der Steuer zur Folge hat.

Fundstellen

EuGH C-101/24 „Xyrality“, Urteil vom 9. Oktober 2025; C-794/23 „P GmbH II“, Urteil vom 1. August 2025; C-695/20 „Fenix International“, Urteil vom 28. Februar 2023

Wollen Sie diesen Newsletter weiterempfehlen?

oder haben Sie diesen Newsletter weitergeleitet bekommen und wollen diesen als Bestandteil des Informationsservice von PwC erhalten?

Zur Anmeldung

© 2017 - 2025 PwC. All rights reserved. PwC refers to the PwC network and/or one or more of its member firms, each of which is a separate legal entity. Please see www.pwc.com/structure for further details.

Impressum

Datenschutzerklärung

Cookie-Einstellungen

Follow us