Vom Europäischen Gerichtshof
EuG-Vorlage: Zu den Voraussetzungen der Steuerbefreiung innergemeinschaft-licher Lieferungen

Das österreichische Bundesfinanzgericht (BFG) hat am Gericht der Europäischen Union (EuG) ein Vorabentscheidungsersuchen anhängig gemacht, mit dem es unter anderem zu ergründen versucht, ob die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer (MwSt-ID, in Deutschland Umsatzsteuer-Identifikationsnummer) seit 2020 tatsächlich eine materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen ist.
Sachverhalt
Die Klägerin war eine britische Gesellschaft. Sie hatte von einem österreichischen Lieferer Waren gekauft und nach Schweden liefern lassen. Die Klägerin verfügte weder über eine österreichische noch über eine schwedische MwSt-ID und hatte gegenüber dem österreichischen Geschäftspartner auch keine andere MwSt-ID mitgeteilt, obwohl sie über eine irische MwSt-ID verfügte. Die Ware wurde durch den österreichischen Lieferer direkt von Österreich nach Schweden versendet. Das Vorlagegericht betont allerdings, dass weder ein Reihengeschäft noch ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft vorgelegen hätten. Es seien auch keine Anhaltspunkte für Missbrauch oder Betrug ersichtlich.
Mangels einer ihm durch die Klägerin bekannt gegebenen MwSt-ID stellte der österreichische Lieferer ihr österreichische Mehrwertsteuer in Rechnung. Diese Steuer versuchte sich die Klägerin durch einen in Österreich eingereichten Vorsteuer-Vergütungsantrag vergüten zu lassen. Die Erstattung wurde versagt, weil das Vorsteuererstattungsverfahren nicht auf Lieferungen von Gegenständen anwendbar sei, die steuerfrei oder von der Steuer befreit sein könnten. Obgleich die Klägerin dem Lieferer danach ihre irische MwSt-ID übermittelte und um eine Rechnungsberichtigung bat, weigerte dieser sich, die Lieferung nachträglich steuerfrei zu stellen und die Rechnung zu berichtigen, weil er dies als unzulässig ansah.
Das Vorabentscheidungsersuchen
Bis einschließlich 2019 galt die MwSt-ID als formelle Voraussetzung für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Seit dem EuGH-Urteil „VSTR“ aus dem Jahr 2012 konnte unter bestimmten Umständen eine innergemeinschaftliche Lieferung auch dann steuerfrei gestellt werden, wenn der Abnehmer den formellen Anforderungen nicht genügt hatte – also unter Umständen auch dann, wenn der Abnehmer gegenüber dem Lieferer keine MwSt-ID verwendet hatte. Im Jahr 2020 schrieb jedoch der Unionsgesetzgeber im Rahmen der sogenannten Quick Fixes vor, dass der Abnehmer für Mehrwertsteuerzwecke in einem anderen Mitgliedsstaat als dem Mitgliedsstaat registriert sein muss, in dem die Versendung oder Beförderung der Gegenstände beginnt, und dass er dem Lieferer diese MwSt-ID mitgeteilt haben muss: Eine Steuerbefreiung sollte ohne Bekanntgabe einer MwSt-ID nicht mehr möglich sein. Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel, ob die MwSt-ID nunmehr tatsächlich zu den materiellen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit zählt und somit für eine Steuerbefreiung unverzichtbar ist.
Es fragt außerdem, ob die Vorsteuer für eine innergemeinschaftliche Lieferung abgezogen werden könne, die nicht alle materiellen Voraussetzungen erfülle, oder ob es sich hierbei um einen Fall des falschen Steuerausweises handele. Weiter fragt es, ob eine Berichtigung der ursprünglichen Rechnung zulässig sei, wenn dem Lieferer die MwSt-ID eines anderen Mitgliedsstaates erst nach Ausführung der Lieferung bzw. nach der Ausstellung der Rechnung mitgeteilt werde, oder ob ein bereits erfolgter Vorsteuerabzug oder eine Vorsteuererstattung dem entgegenstehe. Für den Fall, dass die Korrektur der Rechnung zulässig sei, fragt das Vorlagegericht, ob dies für die Steuerfestsetzung rückwirkend oder erst im Zeitpunkt der Berichtigung möglich sei.
Hinweis
Die von dem österreichischen Vorlagegericht aufgeworfenen Fragen – besonders die erste - sind für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen von erheblicher Bedeutung. Eine Garantie dafür, dass die Fragen allesamt (und so, wie sie gestellt wurden) einer Antwort zugeführt werden, gibt es allerdings nicht. Mangels Erfahrungen mit dem EuG, auf das die Zuständigkeit unter anderem für (reine) Mehrwertsteuerverfahren erst im Oktober 2024 wechselte, ist nicht mit hinreichender Sicherheit zu sagen, wann mit einem Urteil gerechnet werden kann: Denkbar wäre ein Urteil gegen Ende 2026 oder Anfang 2027.
Das Vorlagegericht verweist für die Auffassung, dass die Verwendung einer MwSt-ID eine materielle Voraussetzung der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung sei, auf den Mehrwertsteuerausschuss und die 7. Begründungserwägung der „Quick Fixes“- Richtlinie 2018/1910/EU. Auf einen möglichen Grund, weshalb es sich nicht um eine materielle Voraussetzung handeln sollte, geht das Vorlagegericht kaum ein – es sagt nur, dass die fehlende MwSt-ID an der Tatsache einer grenzüberschreitenden Warenbewegung nichts ändere. Zweifel könnten sich allerdings zum Beispiel daran knüpfen, dass nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in seinem Urteil „Idexx Laboratories“ (dort bezogen auf das Vorsteuerabzugsrecht) materielle Voraussetzungen solche sind, „die die eigentliche Grundlage und den Umfang dieses Rechts regeln“, während formelle Anforderungen „die Modalitäten und die Kontrolle seiner Ausübung sowie das ordnungsgemäße Funktionieren des Mehrwertsteuersystems“ regeln. Insofern ließe sich vertreten, dass die Bekanntgabe einer MwSt-ID durch den Abnehmer eher einer formellen Anforderung ähnelt.
Sollte der EuG entscheiden, dass es sich bei der Bekanntgabe der MwSt-ID an den Lieferer nicht um eine materielle Voraussetzung handelt, wäre das gemeinsame Mehrwertsteuersystem wieder mit demselben Problem konfrontiert, dem es sich bereits vor 2020 ausgesetzt sah: dass es steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen gibt, die nicht im Wege der Zusammenfassenden Meldungen nachvollzogen werden können.
Das BFG fragt außerdem, ob die auf die innergemeinschaftliche Lieferung berechnete Mehrwertsteuer nach Artikel 5 der sogenannten Achten Richtlinie als Vorsteuer abziehbar ist. Weshalb die Achte Richtlinie (die für EU-Unternehmer galt, bereits im Jahr 2010 außer Kraft trat und durch die Richtlinie 2008/9/EU ersetzt wurde) für den 2024 eingereichten Vorsteuer-Vergütungsantrag für Umsatzsteuer des Jahres 2023 anwendbar sein soll, ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen nicht. Sollte für die Frage das gegenwärtig anwendbare Unionsrecht maßgeblich sein, ließe sie sich jedoch – gleichgültig, ob in Hinblick auf das Vergütungsverfahren für die Klägerin die Regelungen für EU- oder die Nicht-EU-Unternehmer gelten – bereits durch einen Hinweis auf den Wortlaut des Art. 171 Abs. 3 lit. b MwStSystRL bzw. auf Art. 4 lit. b der Richtlinie 2008/9/EU beantworten, aus denen sinngemäß hervorgeht, dass das Vorsteuer-Vergütungsverfahren nicht für in Rechnung gestellte Mehrwertsteuerbeträge für Lieferungen von Gegenständen gilt, die (unter anderem) als innergemeinschaftliche Lieferung von der Steuer befreit sind oder befreit werden können (in Deutschland vgl. § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG).
Sollte das EuG hier ausführlicher werden, könnte eine Antwort durchaus von breiterem Interesse sein: Im Vorsteuer-Vergütungsverfahren ist die Abziehbarkeit der Vorsteuer aus steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Lieferungen grundsätzlich ausgeschlossen. Anderenfalls könnte sich jedenfalls nach der 2022 geäußerten Meinung der deutschen Bundesregierung ein Unternehmer im ersten Schritt die Vorsteuer vergüten lassen, um im nächsten Schritt nachträglich seine MwSt-ID anzugeben, die Lieferung vom Lieferer steuerfrei stellen zu lassen und somit die Steuer doppelt zu vereinnahmen. Ein ausdrücklicher Ausschluss des Vorsteuerabzugs außerhalb des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens fehlt jedoch in der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL), obgleich sich das Problem im Prinzip auch dort stellt. Sollte die ausgewiesene Steuer jedoch im Vergütungsverfahren nicht zu erstatten sein, weil es sich um eine unrichtig ausgewiesene Steuer handelt, dann wäre nicht ersichtlich, weshalb das nicht auch außerhalb des Vergütungsverfahrens gelten sollte. Ausführungen des EuG zu diesem Thema wären von Interesse.
Die dritte Frage des BFG zielt darauf ab, ob bei nachträglicher Bekanntgabe einer bereits zum Zeitpunkt der Lieferung vergebenen und gültigen MwSt-ID eines anderen Mitgliedsstaats als des Ausgangsmitgliedsstaats die Berichtigung der ursprünglichen Rechnung zulässig sei, oder ob dem ein erfolgter Vorsteuerabzug entgegensteht. Sollte – wie oben angesprochen – das gegenwärtig gültige EU-Recht zugrunde gelegt werden, dürften diese Fragen gegenstandslos bzw. in wenigen Zeilen zu beantworten sein. Indessen teilt das Vorlagegericht in seiner Begründung mit, dass (jedenfalls) die dritte Frage breiter angelegt sei und zum Beispiel auch die Frage umfasse, ob die nachträgliche Bekanntgabe einer MwSt-ID überhaupt noch Einfluss auf die Besteuerung des Umsatzes haben kann – was eine Frage ist, der das EuG sich auch ungeachtet des Umstands annehmen könnte, dass der Sachverhalt von einem Vergütungsverfahren handelt.
Fundstellen
BFG RE/2100001/2025, Beschluss vom 18. September 2025 (am EuG geführt unter dem Az. T-689/25);
EuGH C-587/10 „VSTR“, Urteil vom 27. September 2012; C-590/13 „Idexx Laboratories“, Urteil vom 11. Dezember 2014;
Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Jahressteuergesetzes 2022, Bundestags-Drucksache 20/3879 vom 10. Oktober 2022, S. 108, zu § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG

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