Vom Europäischen Gerichtshof
Steuerschuld infolge falschen Mehrwertsteuer-ausweises in der Rechnung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wurde zum zweiten Mal mit einem Sachverhalt befasst, in dem ein überhöhter Steuerbetrag in einer großen Zahl von Rechnungen ausgewiesen worden war. Die Identität der Leistungsempfänger war nicht mehr zu ermitteln, die in Rede stehende Leistung wurde ihrer Art nach aber gewöhnlich durch Endverbraucher in Anspruch genommen. Für deutsche Unternehmer sind die Ausführungen des EuGH nicht durchweg vorteilhaft.
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin betrieb in Österreich einen Indoor-Spielplatz. Die Eintrittsgebühren unterwarf sie dem Regelsteuersatz von 20 Prozent und wies in vielen Tausend Registrierkassenbelegen Umsatzsteuer in entsprechender Höhe aus. Als sich herausstellte, dass ihre Leistungen tatsächlich dem ermäßigten Steuersatz von 13 Prozent unterlagen, verlangte sie den Differenzbetrag vom Finanzamt zurück. Bereits im Jahr 2022 entschied der EuGH in ihrem Fall, dass eine Steuerschuld für zu Unrecht ausgewiesene Mehrwertsteuer nicht entstehe, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliege. Das sei hier der Fall, weil die Dienstleistung ausschließlich an Endverbraucher erbracht worden sei, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt seien. Abweichend davon schätzte jedoch das erstinstanzliche österreichische Bundesfinanzgericht im zweiten Rechtszug, dass in Bezug auf 0,5 Prozent des Umsatzes eine Gefährdung des Steueraufkommens infolge eines „zu Recht oder Unrecht“ erfolgten Vorsteuerabzugs vorliegen könne. Hiergegen wandte sich die Finanzverwaltung: Eine Aufteilung im Schätzungswege lasse sich dem EuGH-Urteil nicht entnehmen. So wurde das Verfahren dem EuGH mit weiteren Fragen ein zweites Mal vorgelegt.
Entscheidung
Nach Auffassung des EuGH schließt der Umstand als solcher, dass auch anderen Steuerpflichtigen gegenüber mit überhöhter Steuer abgerechnet wurde, nicht aus, dass die überhöhte Steuer aus den Rechnungen an Nichtsteuerpflichtige nicht geschuldet werde. Denn die Anwendung von Art. 203 MwStSystRL (in Deutschland vgl. § 14c UStG) hänge nur davon ab, ob eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliege – was auf der Grundlage einer konkreten Rechnung zu beurteilen sei und nicht davon abhängen könne, ob die in Rede stehenden Leistungen auch an andere Steuerpflichtige erbracht wurden.
Die Wendung „Endverbraucher, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind“, sei jedoch eng auszulegen. Steuerpflichtige, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt seien, fielen nicht unter diesen Begriff, und zwar selbst dann, wenn sie die betreffende Leistung möglicherweise für private oder für sonstige nicht zum Vorsteuerabzug berechtigende Zwecke in Anspruch nähmen. Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass die Finanzverwaltung aufgrund komplexer Umstände und Rechtsbeziehungen die Gründe, die einer Ausübung dieses Rechts entgegenstehen könnten, nicht rechtzeitig ermitteln könne.
Was das Vorgehen im Fall von Kleinbetragsrechnungen angehe, so sei grundsätzlich zwar das Verfahrensrecht der Mitgliedsstaaten maßgeblich. Die Mehrwertsteuerpflicht des Rechnungsempfängers sei auf der Grundlage jeder konkreten Rechnung zu beurteilen. Dennoch steht nach Auffassung des EuGH das Unionsrecht einer Schätzung nicht entgegen, für welchen Anteil der Rechnungen eine Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL bestehe. Um den Anteil der an andere Steuerpflichtige ausgestellten Rechnungen mit falschem Steuerausweis zu ermitteln, seien alle relevanten Umstände zu berücksichtigen, wie etwa die Art der erbrachten Dienstleistung, die Modalitäten ihrer Erbringung sowie der Rechnungslegung. Es kämen außerdem alle statistischen Informationen zu den Empfängern dieser Dienstleistung in Betracht, über die der leistende Steuerpflichtige verfüge. Im vorliegenden Fall komme dem Umstand, dass die Kunden des betreffenden Steuerpflichtigen eher selten andere Steuerpflichtige sein dürften, besondere Bedeutung zu.
Außerdem müsse der Steuerpflichtige unter Beachtung der Grundsätze der steuerlichen Neutralität und der Verhältnismäßigkeit sowie der Verteidigungsrechte (unter anderem) die Möglichkeit haben, die von einer Steuerbehörde oder einem Gericht mit der Schätzungsmethode erzielten Ergebnisse infrage zu stellen. Die bei der Schätzung verwendeten Daten müssten genau, verlässlich und aktuell sein und sie könnten nur zu einer widerlegbaren Vermutung führen, die der Rechnungsaussteller mit Gegenbeweisen entkräften könne. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlange, dass das hierfür erforderliche Beweismaß nicht übermäßig hoch sein dürfe.
Hinweis
Die deutsche Finanzverwaltung ist in Abschnitt 14c.1 Abs. 1a UStAE bislang der Auffassung, dass die Nichtentstehung einer Steuerschuld wegen unrichtigen Steuerausweises (§ 14c Abs. 1 UStG) an einen Endverbraucher („insbesondere Nichtunternehmer oder Unternehmer für dessen nichtunternehmerischen Bereich“) eine den Steueranspruch einschränkende Tatsache sei. Diese Tatsache sei durch den Unternehmer glaubhaft darzulegen bzw. plausibel zu begründen. Eine Schätzung oder Ähnliches der betroffenen Umsätze oder des Anteils der an Endverbraucher ausgestellten Rechnungen komme nicht in Betracht. Allerdings könne bei der Beurteilung, ob der Leistungsbezieher als Endverbraucher gehandelt hat, die Art der Leistung berücksichtigt werden. Dazu könne der Leistungskatalog nach Abschnitt 3a.2 Abs. 11a UStAE herangezogen werden (Leistungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für das Unternehmen, sondern für den privaten Gebrauch bestimmt sind). Dieser Leistungskatalog sei aber unbeachtlich, sofern im Einzelfall feststehe, dass die Leistung nicht an einen Endverbraucher erbracht worden sei.
Anders als die deutsche Finanzverwaltung hat der EuGH nicht nur nichts gegen Schätzungen an sich einzuwenden – er scheint darüber hinaus die Finanzverwaltung in der Pflicht zu sehen: Offenbar hat sie nach seiner Auffassung den Anteil der Rechnungen zu schätzen, für die der Unternehmer die Steuer wegen falschen Steuerausweises schuldet – es hat nicht der Steuerpflichtige den Anteil der Rechnungen nachzuweisen, auf die das nicht zutrifft. Für deutsche Begriffe könnte das so verstanden werden, dass nicht der Unternehmer eine den Steueranspruch einschränkende, sondern umgekehrt die Finanzbehörde eine den Steueranspruch begründende Tatsache (wie etwa die Gefährdung des Steueraufkommens) darzulegen hat. Ob die deutsche Praxis diese Verteilung der Beweislast auch so auffasst, muss sich weisen (wobei der EuGH auch auf Informationen „zu den Empfängern dieser Dienstleistung“ abstellt, „über die deren Erbringer verfügt“) – allerdings ließe sich die deutsche Verwaltungsregelung in Bezug auf bestimmte sehr wahrscheinlich für den privaten Gebrauch bestimmte Leistungen bereits heute in einem zumindest ähnlichen Sinne verstehen.
Indessen hat der EuGH auch deutlich gemacht, dass Leistungen an Unternehmer für deren nichtunternehmerischen Bereich vom Begriff des Endverbrauchers ausgenommen seien. Das ist für Unternehmer nachteilhaft: Zum einen wird das oft den Anteil der nicht korrekturbedürftigen Rechnungen und somit den Erstattungsbetrag reduzieren. Zum anderen könnte das die Schätzung im Einzelfall enorm verkomplizieren. Für nicht zum Vorsteuerabzug berechtigende Zwecke dürften auch andere als die im Urteil genannten Fälle in Betracht kommen, zum Beispiel hoheitliche Tätigkeiten juristischer Personen des öffentlichen Rechts.
Fundstellen
EuGH C-794/23 „P GmbH II“, Urteil vom 1. August 2025; C-378/21 „P GmbH I“, Urteil vom 8. Dezember 2022; BMF-Schreiben vom 27. Februar 2024

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