Vom Europäischen Gerichtshof

Ausfuhrlieferung anstelle der vereinbarten innergemeinschaft-lichen Lieferung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasst sich mit einem Fall, in dem zwischen Lieferer und Abnehmer eine innergemeinschaftliche Lieferung vereinbart wurde, während die Ware tatsächlich ohne Wissen des Lieferers durch den Abnehmer in ein Drittland ausgeführt wurde. Anders als die polnische Finanzverwaltung spricht er dem Lieferer eine Steuerbefreiung seiner Lieferung zu – als Ausfuhrlieferung.

Sachverhalt

Ein polnischer Unternehmer (Kläger) lieferte Äpfel an einen britischen Unternehmer, der angab, die Ware aus Polen nach Litauen transportieren zu wollen. Entsprechend stellte der Kläger seine Lieferung als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei. Der Abnehmer meldete zwar einen innergemeinschaftlichen Erwerb (in Lettland), führte aber – wie sich aus von den polnischen Behörden ermittelten Zolldokumenten ergab – die Ware nach Belarus aus. Das war ohne Wissen des Lieferers erfolgt, für eine Beteiligung des Lieferers an einer Steuerhinterziehung gab es keine Anhaltspunkte. Die polnischen Behörden verweigerten eine Steuerbefreiung des Vorgangs als innergemeinschaftliche Lieferung, weil die Gegenstände nicht in das Gebiet eines anderen EU-Mitgliedstaats verbracht worden seien. Daher besteuerten sie die Lieferung als Inlandslieferung. Der Kläger war der Auffassung, die Lieferung müsse zu einer steuerfreien Ausfuhrlieferung umklassifiziert werden.

Entscheidung

Der EuGH teilte mit, dass die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen unter den folgenden Voraussetzungen gewährt werde: Erstens müsse der Gegenstand geliefert (das heißt die Verfügungsmacht am Gegenstand auf den Erwerber übertragen) worden sein, zweitens müsse der Lieferant nachweisen, dass der Gegenstand an einen Ort außerhalb der Union versandt oder befördert worden sei, und drittens müsse der Gegenstand aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung das Hoheitsgebiet der Union physisch verlassen haben. Der EuGH geht weitgehend nur auf die zweite Voraussetzung ein.

Nach Auffassung des EuGH kommt es darauf an, dass die objektiven Tatbestandsmerkmale der Ausfuhrsteuerbefreiung erfüllt sind. Dass sich die Parteien ursprünglich auf eine innergemeinschaftliche Lieferung geeinigt hätten, die letztlich nicht stattgefunden habe, und dass die Lieferung nach Orten außerhalb der Union ohne Wissen des Lieferers erfolgt sei, seien subjektive Elemente, die somit grundsätzlich unerheblich seien.

Der Umstand, dass die polnischen Behörden, nicht der Kläger, den Nachweis der Lieferung der Ware ins Drittland erlangt hatten, sei unerheblich. Eine Versagung der Steuerbefreiung bei einer Ausfuhr, nur weil der Steuerpflichtige nicht über die richtigen Ausfuhrdokumente verfüge, während die Steuerbehörden wie im vorliegenden Fall sicher seien, dass die Gegenstände ausgeführt wurden, sei grundsätzlich unverhältnismäßig.

Hinweis

Der EuGH sprach eine Steuerbefreiung nicht im Wege einer Gewährung von Vertrauensschutz zu, sondern qualifizierte eine Steuerbefreiung, deren Voraussetzungen nicht vorlagen, in eine andere Steuerbefreiung um, deren Voraussetzungen erfüllt waren. In ähnlicher Weise hatte er bereits einmal (im Jahr 2020 im Urteil „Bakati Plus“) zugelassen, gewerbliche Ausfuhren, die unzulässigerweise als Ausfuhren im persönlichen Reisegepäck steuerfrei gestellt worden waren, als „gewöhnliche“ steuerfreie Ausfuhren zu behandeln. Damit war aber seinerzeit zum einen nur eine Umqualifizierung innerhalb des Ausfuhrtatbestands verbunden, zum anderen kamen die besonderen Voraussetzungen der Ausfuhren im persönlichen Reisegepäck zu den Voraussetzungen der „gewöhnlichen“ Ausfuhrbefreiung hinzu.

Für den Nachweis der Ausfuhrlieferung konnte sich der Kläger im Ergebnis auf Zolldokumente stützen, die die Finanzverwaltung bei ihren Ermittlungen zutage gefördert hatte. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Finanzbehörde verpflichtet wäre, die Voraussetzungen der Steuerbefreiung selbst zu ermitteln, wenn der Lieferer keinen oder keinen regelgerechten Nachweis vorlegt: Bereits im Jahr 2007 hat der EuGH im Urteil „Twoh“ entschieden, dass im Fall einer innergemeinschaftlichen Lieferung die Finanzbehörden des Ausgangsmitgliedsstaats nicht verpflichtet seien, die Behörden des vom Lieferanten angegebenen Bestimmungsmitgliedstaats um Auskunft zu ersuchen. Die Normen über gegenseitige Amtshilfe und die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden seien nicht dazu da, die Feststellung des innergemeinschaftlichen Charakters von Lieferungen eines Steuerpflichtigen zu ermöglichen, der selbst nicht in der Lage ist, die erforderlichen Beweise vorzulegen.

Fundstellen

EuGH C-602/24 „W“, Urteil vom 1. August 2025; C-184/05 „Twoh“, Urteil vom 27. September 2007; C-656/19 „Bakati Plus“, Urteil vom 17. Dezember 2020

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