Aus der Rechtsprechung
Säumniszuschläge, Zinsen und Ende der Niedrigzinsphase 2022

Im Jahr 2021 beendete das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine langjährige Debatte um die Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen während einer anhaltenden Niedrigzinsphase, indem es den bis dahin gültigen bisherigen Zinssatz von 6 Prozent p. a. als verfassungswidrig bezeichnete. Nach Meinung des X. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) ist allerdings schon im darauffolgenden Jahr 2022 die Zinswende erfolgt.
Entscheidung
Die Entscheidung über eine Aussetzung der Vollziehung hatte unter anderem die Höhe des gegen einen Steuerpflichtigen verhängten Säumniszuschlags zum Gegenstand. Das erstinstanzliche Finanzgericht hatte eine Aussetzung der Vollziehung unter Hinweis darauf gewährt, dass mehrere Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) in vergleichbaren Fällen eine Aussetzung der Vollziehung wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge gewährt hätten – offenbar in Hinblick auf einen Beschluss des BVerfG von 2021. Das BVerfG hatte damals die Zinsberechnung für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen seit dem Jahr 2014 als verfassungswidrig bezeichnet, wenn es auch das bisherige Recht für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 für weiter anwendbar bezeichnet hatte. Der Gesetzgeber hatte daraufhin im Jahr 2022 für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen den Zinssatz entsprechend angepasst.
Der X. Senat des BFH lehnte bereits die Prämisse ab, dass die BVerfG-Grundsätze überhaupt auf Säumniszuschläge übertragbar seien. Seiner Auffassung nach hatten Säumniszuschläge schon nicht den Charakter einer Gegenleistung für einen Liquiditätsgewinn des Steuerpflichtigen. Vor allem aber war er der Auffassung, dass die Niedrigzinsphase der vergangenen Jahre der Vergangenheit angehöre. Aufgrund des ab Februar 2022 markant und nachhaltig gestiegenen Zinsniveaus bestünden jedenfalls ab März 2022 (selbst unter der genannten Prämisse) keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe dieser steuerlichen Nebenleistung. Frühere Zweifel seien durch die zwischenzeitlich eingetretene Entwicklung auf den Geld- und Kapitalmärkten überholt. Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 und den dadurch auch in der Bundesrepublik Deutschland ausgelösten wirtschaftlichen Verwerfungen habe sich die Lage auf den Geld- und Kapitalmärkten grundlegend verändert. Der Kriegsbeginn habe eine klare und sogleich für jeden erkennbare Ursache dafür gesetzt, dass die Zinssätze in der Folgezeit deutlich und sehr schnell gestiegen seien. Die ausgeprägte Niedrigzinsphase der Vorjahre habe damit ein Ende gefunden.
Dieses gestiegene Zinsniveau habe bis heute Bestand; es handle sich also nicht um eine kurzfristige Schwankung des Marktzinses, sondern um eine grundlegende (und damit im Rahmen einer etwaigen Prüfung der Angemessenheit der gesetzlichen Typisierung eines Zinssatzes zu berücksichtigende) Änderung der Verhältnisse. Der BFH ließ die Aussetzung der Vollziehung zwar zu, jedoch aus einem anderen Grund (einer erbrachten Sicherheitsleistung).
Hinweis
Auch wenn sich der Beschluss nicht auf Zinsen, sondern auf Säumniszuschläge bezieht, ist es gut vorstellbar, dass die Debatte des vergangenen Jahrzehnts über die Höhe des Zinssatzes für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO neu auflebt, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen.
Gegebenenfalls könnte eine Evaluierung des Zinssatzes zu einer Heraufsetzung des Zinssatzes für künftige Nachzahlungs- und Erstattungszinsen führen. Ein solcher Mechanismus wurde – ebenfalls im Jahr 2022 ‒ der Vorschrift des § 238 AO eingeschrieben: Nach § 238 Abs. 1c AO ist die Angemessenheit des Zinssatzes für die Vollverzinsung nach § 233a AO unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB „wenigstens alle zwei Jahre“ zu evaluieren, was nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22. Juli 2022 dem Gesetzgeber obliegt. Die erste Evaluierung sollte der genannten Vorschrift der Abgabenordnung (AO) zufolge spätestens zum 1. Januar 2024 vorgenommen werden – ob sie auch erfolgt ist, ist allerdings unklar.
Fundstellen
BFH X B 21/25 (AdV), Beschluss vom 21. März 2025; BVerfG 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, Beschluss vom 8. Juli 2021; BMF-Schreiben vom 22. Juli 2022, BStBl I 2022, 1217

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