Aus der Rechtsprechung
Geschäftsver-äußerung im Ganzen über einen Zwischenerwerber
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Erfolgt eine Geschäftsveräußerung im Ganzen im Wege eines Durchgangserwerbs, so muss der Zwischenerwerber nach Meinung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht unbedingt ein Unternehmer sein. Vor allem für Versorgungsunternehmen ist das Urteil aber noch aus anderen Gründen interessant.
Sachverhalt
Die Klägerin war Organträgerin der G-GmbH, die der Stadt S Wasser lieferte. Nach Kündigung des zugrunde liegenden Wasserlieferungsvertrags schloss S einen Wasserlieferungsvertrag mit dem O-Verband ab. In diesem Zusammenhang sollte der O-Verband die notwendigen Wasserversorgungsanlagen unmittelbar von der G-GmbH erwerben und das Entgelt dafür an diese entrichten.
Erst nachdem der O-Verband mit der Wasserversorgung bereits begonnen hatte, schlossen die drei Beteiligten einen Vertrag ab, der eine Übertragung der Wasserversorgungsanlagen durch die G-GmbH auf die Stadt S (rückwirkend) zum Datum des Beginns der Tätigkeit des O-Verbands vorsah. Der O-Verband sollte den von der Stadt S für die Übertragung der Anlagen zu zahlenden Erstattungsbetrag direkt an die G-GmbH entrichten. Er übernahm sämtliche Rechte und Pflichten aus der Wasserversorgung von der G-GmbH; zum Stichtag waren auf ihn Besitz, Nutzungen und Lasten an den Vertragsobjekten übergegangen. Bereits zuvor hatte die G-GmbH an S ein Abrechnungsdokument mit Umsatzsteuerausweis gerichtet und den Vorgang in ihrer Umsatzsteuererklärung als steuerpflichtigen Umsatz erfasst.
Das Finanzamt gelangte zur Auffassung, dass eine steuerpflichtige Lieferung der Wasserversorgungsanlagen durch die Klägerin an die Stadt S erfolgt sei. Die Klägerin war nunmehr aber der Auffassung, dass eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen vorgelegen habe, und beantragte beim Finanzamt die Zustimmung zur "Aufhebung" des Abrechnungsdokuments der G-GmbH und zur Ausstellung einer neuen Rechnung ohne Umsatzsteuer an den O-Verband, hilfsweise an S.
Der Antrag mit Hilfsantrag war auch dem Umstand geschuldet, dass die Lieferbeziehungen streitig waren. Abgesehen von der Frage, ob die Anlagen direkt an den O-Verband geliefert worden waren, wurde offenbar eine Lieferung der Anlagen durch die G-GmbH dem Grunde nach infrage gestellt. Bereits bei Vertragsschluss war die Frage offengelassen worden, wer vor dem Stichtag zivilrechtliches Eigentum an den Wasserversorgungsanlagen gehabt hatte. S war der Auffassung, bereits Eigentümerin der Anlagen auf ihrem Grund gewesen zu sein. Für den Fall, dass das Eigentum an den Anlagen gleichwohl der G-GmbH zugestanden haben sollte, bestand bei Vertragsschluss jedoch Einigkeit darüber, dass dieses auf die Stadt S überging.
Entscheidung
Was zunächst die Leistungsbeziehungen anging, so ging der BFH von einem Durchgangserwerb der Anlage aus: Sie sei von der G-GmbH an die S und (eine logische Sekunde später) weiter an den O-Verband übertragen worden. Insofern habe das Finanzamt recht gehabt, der Erteilung einer Rechnung nicht zuzustimmen, in der der O-Verband als Leistungsempfänger angegeben war. Leistungsempfängerin dieser Lieferung sei nicht der O-Verband, sondern (im ersten Schritt) S gewesen. Der Vergleichsvertrag habe eine Lieferung der Wasserversorgungsanlagen an die Stadt S vorgesehen. Die bloße Kostentragung des O-Verbands ändere daran nichts. Nach Meinung des BFH spielte der Disput um das zivilrechtliche Eigentum umsatzsteuerlich keine Rolle. Denn bei Vertragsschluss habe unabhängig von zivilrechtlichen Eigentumsfragen eine Lieferung der Anlage von der G-GmbH an S stattgefunden. Es sei möglich, auch an Bauten auf fremdem Grund und Boden Verfügungsmacht zu erlangen und sie erst später (steuerpflichtig) an den Grundstückseigentümer oder einen Dritten zu liefern. Die G-GmbH habe die Verfügungsmacht an den Wasserversorgungsanlagen gehabt, sodass sich der wirtschaftliche Gehalt der Leistung der G-GmbH nicht in einem bloßen Rechtsverzicht oder in der Beendigung einer Nutzungsüberlassung durch die Stadt S an die G-GmbH erschöpft habe.
Was im nächsten Schritt eine Geschäftsveräußerung im Ganzen der G-GmbH an S betraf, so hatte das erstinstanzliche Finanzgericht (FG) eine Geschäftsveräußerung im Ganzen an die S mit dem Argument verneint, die S sei keine Unternehmerin, weil sie von vornherein nur einen Geschäftsvorfall – die einmalige Weiterlieferung der Anlage an den O-Verband – geplant habe. Dies sei keine nachhaltige Tätigkeit. Zudem habe sie ihrem Auftrag der Daseinsvorsorge nachkommen wollen und sei somit nicht unternehmerisch aufgetreten. Das ließ der BFH nicht gelten: Erstens habe das FG nicht geprüft, ob S aus anderen Gründen Unternehmer sein könne. Der Umstand, dass ein Umsatz einer bereits mehrwertsteuerpflichtigen Person nicht der Haupttätigkeit dieser Person entspricht und von dieser nur punktuell durchgeführt wurde, schließe es nicht aus, dass diese Person in Bezug auf diesen Umsatz im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit gehandelt habe.
Zweitens habe S bei der Lieferung an den O-Verband die Verpflichtung zum Rückerwerb der Wasserversorgungsanlagen übernommen. Die Übertragung sei daher nicht einmaliger Natur, denn nach Ablauf des Vertrags mit dem O-Verband (mit einer Erstlaufzeit von 20 Jahren) werde die Stadt bei Kündigung des Vertrags die Anlagen zurückerwerben – sei es, um sie erneut weiterzuliefern, sei es, um selbst das Wasser an ihre Einwohner zu liefern. Insofern hatte S bereits bei der streitigen Lieferung die Absicht, zukünftig weitere Umsätze auszuführen. Auch eine Wasserversorgung in Eigenregie wäre keine bloße Maßnahme der Daseinsvorsorge, sondern eine wirtschaftliche Tätigkeit. Die langen Zeiträume änderten an dieser Wertung nichts, denn sie seien bei einer solchen Tätigkeit der Stadt üblich.
Selbst davon abgesehen müsse für eine nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung im Falle des Durchgangserwerbs der Zwischenerwerber kein Unternehmer sein. Der Durchgangserwerb einer Person, die die unternehmerische Tätigkeit nicht selbst fortführt, stehe einer Geschäftsveräußerung nicht per se entgegen. Bereits bei früherer Gelegenheit habe der BFH entschieden, dass es sich bei der erforderlichen Fortführung der Unternehmenstätigkeit (bzw. der Absicht dazu) nicht um ein höchstpersönliches Kriterium handle – der Leistungsempfänger müsse also nicht in eigener Person die Fortführung der Unternehmenstätigkeit beabsichtigen. Auch bei einer mehrfachen Übertragung müsse die Fortführung der Unternehmenstätigkeit nur dem Grunde nach vorliegen. Dann müsse es aber auch ausreichen, dass der Letzterwerber (hier der O-Verband) Unternehmer ist oder infolge des Erwerbs Unternehmer wird.
Hinweis
Abgesehen davon, dass das Unionsrecht nicht ausdrücklich eine Unternehmereigenschaft des Empfängers verlangt, begründet der BFH seine Auffassung zur Geschäftsveräußerung über einen nichtunternehmerischen Zwischenerwerber damit, dass es Zweck der Vorschrift sei, die Übertragungen von Unternehmen oder Unternehmensteilen zu erleichtern. Sie solle solche Transaktionen vereinfachen und zudem vermeiden, dass die Mittel des Begünstigten übermäßig steuerlich belastet werden. Im Streitfall hätte die Auffassung des Finanzamts dazu geführt, dass bei jedem Rückerwerb der Wasserversorgungsanlagen durch die Stadt S mit unmittelbarer Weiterlieferung die Stadt nicht als Vorsteuer abziehbare Umsatzsteuer in Millionenhöhe zu tragen hätte – und zwar, obwohl der O-Verband mit seinen steuerpflichtigen Wasserlieferungen zum Vorsteuerabzug berechtigt wäre. Da S den nicht abziehbaren Umsatzsteuerbetrag auf den O-Verband umlegen würde, wäre dieser definitiv wirtschaftlich mit der Umsatzsteuer belastet und es würde im Ergebnis Umsatzsteuer auf Umsatzsteuer erhoben.
Das Urteil ist nicht nur insofern interessant, als es viele praktisch wichtige Fragen der Übertragung ganzer Netze behandelt. In Hinblick auf den Umstand, dass ein Zwischenerwerber nicht selbst Unternehmer sein muss, könnte es zudem den Handlungsspielraum bei Geschäftsveräußerungen im Ganzen nicht nur, aber vor allem im Fall organschaftlich nicht gebundener privatwirtschaftlicher Konzerne vergrößern – zu denen (wie im Fall von Finanzholdings) durchaus auch Nichtunternehmer gehören können.
Der BFH hält es für möglich, dass ein Durchgangserwerb infolge des Anschluss- und Benutzerzwangs für die Wasserversorgung auch hinsichtlich des Kundenstamms erfolgte. Es sollte beachtet werden, dass S (zumindest) die Anlagen lediglich für eine logische Sekunde gehalten hatte. Ob die Grundsätze auch dann gelten, wenn die materiellen und immateriellen Bestandteile des Unternehmens nicht nahtlos übertragen werden, teilt der BFH nicht mit.
Das Gericht äußert sich zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Weiterlieferung der S an den O-Verband nur für den Fall, dass der Zwischenerwerber kein Unternehmer ist – die Weiterlieferung sei dann kein steuerbarer Umsatz. Ob auch die Weiterlieferung durch einen Unternehmer als Zwischenerwerber eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung ist, bestätigt der BFH auch weiterhin nicht ausdrücklich, das Bundesministerium der Finanzen geht aber bislang davon aus, dass die Rechtsfolgen der Geschäftsveräußerung im Ganzen bei Vorliegen der Voraussetzungen sich auf jeder Stufe einstellen (Abschnitt 1.5 Abs. 1 Satz 6 UStAE).
Fundstelle
BFH XI R 19/22, Urteil vom 25. September 2024
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