Aus der Rechtsprechung
Zu den Grenzen des sogenannten „Reemtsma“-Anspruchs
Der sogenannte Reemtsma-Anspruch (auch Direktanspruch) dient der Erstattung eines Steuerbetrags durch die Finanzbehörde direkt an den Leistungsempfänger, wenn dieser den Steuerbetrag fälschlich an den leistenden Unternehmer entrichtet hat, ihn von diesem aber nicht mehr zurückerhält. Ein Urteil des Finanzgerichts (FG) München legt nahe, dass dieser Anspruch nicht dazu gedacht ist, dem Leistungsempfänger den Aufwand zu ersparen, sich bereits bei Leistungsbezug selbst mit seinem Lieferanten auseinanderzusetzen.
Sachverhalt
Die Klägerin war eine im Inland ansässige Gesellschaft, die überwiegend im internationalen Luftverkehr tätig war, sodass an sie ausgeführte Umsätze unter den weiteren Voraussetzungen als Umsätze für die Luftfahrt (§§ 4 Nr. 2, 8 Abs. 2 UStG) steuerfrei waren. Ein geringer Teil der Eingangsleistungen war ihr jedoch mit Umsatzsteuer in Rechnung gestellt worden, die sie auch entrichtet hatte. Das betraf vor allem Cateringeinkäufe und den Kauf einiger Ausstattungsgegenstände in Einzelhandelsgeschäften in Flugplatznähe. Die Kosten wurden vollständig auf die Kunden umgelegt. Die Klägerin wandte sich danach aus Praktikabilitätsgründen nicht mehr an die Rechnungsaussteller, um die Rechnungen korrigieren zu lassen. Zunächst wurde die Steuer nicht als Vorsteuer geltend gemacht. Im Zuge einer Steuerprüfung verlangte die Klägerin jedoch den Vorsteuerabzug, hilfsweise aus Billigkeitsgründen.
Entscheidung
Das FG München gewährte den Vorsteuerabzug nicht: Die Steuerbefreiung der Umsätze für die Luftfahrt sei obligatorisch, ein Wahlrecht bestehe nicht. Die Steuer werde also gesetzlich nicht geschuldet und sei somit nicht als Vorsteuer abziehbar.
Einen “Reemtsma”-Anspruch ließ das FG nicht zu. Zwar könne im Fall, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer durch den Rechnungsaussteller unmöglich oder übermäßig schwierig wird, der Grundsatz der Effektivität gebieten, dass der Erwerber des betreffenden Gegenstands seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann. Im Streitfall spreche zwar viel für eine übermäßige Schwierigkeit der Rückforderung der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer: Ein Berichtigungsverlangen gegenüber Leistenden führe bei anonymen Kassenbelegen zu praktischen Schwierigkeiten, hinzu komme die Vielzahl der Leistenden und die verhältnismäßig geringe Höhe der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer. Das FG München entschied dennoch gegen einen Direktanspruch. Ein solcher Anspruch komme – als Ausnahmeregelung - dann nicht in Betracht, wenn (wie hier) der Leistungsempfänger die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer bewusst bezahlt habe und sich dabei im Klaren war, dass eine zivilrechtliche Rückabwicklung sehr schwierig sein würde. Die Interessen des Leistungsempfängers seien nicht schützenswert, weil er bewusst den unrichtigen Ausweis von Umsatzsteuer herbeigeführt habe, indem er die Leistenden nicht auf seine Berechtigung zum steuerfreien Bezug der Lieferungen hingewiesen und außerdem die Umsatzsteuer im Bewusstsein gezahlt habe, dass eine zivilrechtliche Rückforderung beim jeweiligen Leistenden unpraktikabel sein würde. Sinn und Zweck des Direktanspruchs sei es nicht, dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf eine aufwandsärmere und kostengünstigere Erstattung durch die Finanzverwaltung einzuräumen, wenn er – wie hier – die Möglichkeit gehabt habe, entweder rechtzeitig die Steuerfreiheit des Umsatzes bei jedem Geschäftsvorfall gegenüber den jeweiligen Leistenden geltend zu machen oder alternative Beschaffungswege mit weniger Geschäftsbeziehungen zu organisieren, und wenn er die Kosten im Übrigen auch vollständig auf seine Kunden umlege.
Der Vorsteuerabzug im Billigkeitswege sei auch aus anderen Gründen nicht zu gewähren. Unter anderem führt das FG München in diesem Zusammenhang aus: Es sei ausdrückliches Ziel des Gesetzgebers gewesen, durch die Steuerbefreiung der Umsätze für die Luftfahrt laufende hohe Vorsteuerüberhänge der Luftfahrunternehmen zu vermeiden. Da somit der Gesetzgeber gerade darauf abzielte, die Geltendmachung von Vorsteuer durch Luftfahrtunternehmen zu vermeiden, ergebe sich auch im Fall der Klägerin keine Regelungslücke, die ausnahmsweise bei Problemen in der praktischen Umsetzung des Bezugs steuerfreier Leistungen durch eine Billigkeitsregelung zu füllen wäre.
Hinweis
Das FG München formuliert hier einen bislang höchstrichterlich zumindest nicht ausdrücklich formulierten Ausschlussgrund für einen “Reemtsma”-Anspruch. Im Kern läuft seine Argumentation darauf hinaus, dass die Klägerin mit der bewussten Zahlung der zu Unrecht ausgewiesenen Umsatzsteuer eine betriebswirtschaftlich motivierte Entscheidung getroffen hatte. Sie hätte sich selbst bei Leistungsbezug mit ihren Lieferanten auseinandersetzen sollen, statt im Nachgang diese Arbeit auf das Finanzamt abzuwälzen. Das FG führt in seinem Urteil eine Äußerung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in dessen Urteil in der Rechtssache „Schütte“ an, dass selbst nachweislich fahrlässiges Handeln es unangemessen erscheinen lasse, dem Steuerpflichtigen den Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer zu verwehren. Aus demselben Urteil ergibt sich an anderer Stelle allerdings auch, dass der Erwerber berechtigt ist, seinen Erstattungsantrag unmittelbar gegen die Steuerbehörde zu richten, wenn „weder Betrug noch Missbrauch oder nachweisliche Fahrlässigkeit seinerseits vorliegt“. Sollte bewusste Fahrlässigkeit (und a fortiori auch absichtliches Handeln) ein Ausschlussgrund für einen Reemtsma-Anspruch sein, würde das die Entscheidung des FG im Ergebnis weiter stützen.
Es sollte jedoch beachtet werden, dass es sich um das Urteil eines erstinstanzlichen Finanzgerichts handelt und diese Auffassung höchstrichterlich nicht bestätigt ist. Zu einer Befassung des Bundesfinanzhofs (BFH) mit der Auffassung des FG München dürfte es so bald nicht kommen. Eine beim BFH zunächst anhängig gemachte Nichtzulassungsbeschwerde wurde inzwischen zurückgenommen.
In seinem Urteil wirft das FG München die Frage auf, ob ein Direktanspruch nur in Betracht kommt, wenn sich der Leistungsempfänger bereits erfolglos an seinen Vertragspartner gewandt hat, ohne diese abschließend zu beantworten. Der EuGH scheint in seinem (zeitlich nach dem Urteil des FG München veröffentlichten) Urteil in der Rechtssache „H GmbH“ (siehe Ausgabe 09 unseres Umsatzsteuer-Newsletters vom September 2024) diese Frage zu bejahen. Es fragt sich gleichwohl, ob diese Anforderung im Fall offenkundiger Aussichtslosigkeit oder Unverhältnismäßigkeit Grenzen findet.
Fundstellen
FG München 14 K 247/23, Urteil vom 18. Juli 2024
EuGH C-453/22 „Schütte“, Urteil vom 7. September 2023; C-83/23 „H GmbH“, Urteil vom 5. September 2024
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