Aus der Europäischen Union
Einigung über „Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter“
Am 5. November 2024 billigten die EU-Finanzminister im ECOFIN-Rat die letzte Version des Pakets zur Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter (ViDA), die am 30. Oktober 2024 veröffentlicht wurde. Dies ist zu begrüßen, da Estland zuvor Bedenken in Bezug auf die eine der Säulen der Reform – die Regelungen zu den digitalen Plattformen - geäußert hatte, die während des Jahres 2024 Gegenstand von Kompromissdebatten waren. Die beiden anderen Säulen (E-Reporting/E-Invoicing und einzige MwSt-Registrierung) sind gegenüber den letzten Überarbeitungen im Mai 2024 weitgehend unverändert geblieben. Lediglich bei den Einführungsdaten und den Übergangsregelungen haben sich Änderungen ergeben.
Wichtige Änderungen
Das jüngste ViDA-Paket wurde im Vergleich zu den ursprünglichen Vorschlägen vom 8. Dezember 2022 in Hinblick auf die vorgesehenen Maßnahmen und den Zeitplan zu seiner Einführung erheblich überarbeitet - siehe hierzu den Beitrag in Ausgabe 02 unseres Umsatzsteuer-Newsletters vom Februar 2023. Die drei Säulen von ViDA-umfassen:
- Mehrwertsteuerliche Meldepflichten (Digital Reporting Requirements = DRR) und elektronische Rechnungsstellung
- Mehrwertsteuerliche Behandlung der Plattformwirtschaft („Plattformökonomie“)
- Einzige Mehrwertsteuerregistrierung in der EU
Im Detail
1. Mehrwertsteuerliche Meldepflichten und elektronische Rechnungsstellung
Die folgenden Änderungen wurden beschlossen:
Die elektronische Rechnungsstellung wird Standard für die Ausstellung von Rechnungen und ist grundsätzlich nicht mehr von der Zustimmung des Rechnungsempfängers abhängig. Die Mitgliedstaaten können jedoch andere Rechnungsformate für inländische Leistungen zulassen.
Als „elektronische Rechnungen“ gelten Rechnungen, die in einem elektronischen Format ausgestellt, übermittelt und empfangen werden, das eine automatische elektronische Verarbeitung ermöglicht. Sie sollten grundsätzlich der Europäischen Norm (EN16931) und ihrer Syntaxliste entsprechen (andere Formate sind zulässig, solange diese Datenformate die Interoperabilität mit der Europäischen Norm gewährleisten). Die Mitgliedstaaten dürfen keine zusätzlichen Angaben verlangen, um unnötigen Verwaltungsaufwand zu vermeiden. Sammelrechnungen für Leistungen innerhalb desselben Kalendermonats sind erlaubt (die Mitgliedstaaten können diese Möglichkeit jedoch in bestimmten betrugsanfälligen Sektoren ausschließen).
Elektronische Rechnungen für grenzüberschreitende Transaktionen müssen spätestens 10 Tage nach dem Steuertatbestand (oder dem Eingang einer Vorauszahlung) ausgestellt werden.
Die bisherigen Zusammenfassenden Meldungen werden bei grenzüberschreitenden Leistungen - Warenlieferungen (auch im Rahmen von Dreieckgeschäften), Verbringungen, Dienstleistungen und Erwerben - durch DRR ersetzt. Die Meldung der Rechnungsdaten durch den Lieferanten muss in Echtzeit erfolgen (d.h. zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rechnung ausgestellt wird oder hätte ausgestellt werden müssen). Der Käufer hat seine Meldeverpflichtung jedoch spätestens fünf Tage nach der Ausstellung der Rechnung oder dem Zeitpunkt, zu dem sie hätte ausgestellt werden sollen, zu erfüllen, Ähnliches gilt im Gutschriftsfall. Die Rechnung muss gegenüber heutigen Rechnungen weitere Angaben enthalten, so etwa die Kontonummer für die Zahlung, damit die Finanzbehörde auch die Finanzströme verfolgen kann.
Die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie schreibt keine Echtzeit-Meldung von Inlandsumsätzen vor. Mitgliedstaaten, die über solche Systeme verfügen oder bereits bestimmte Vorkehrungen zu ihrer Einführung getroffen hatten, müssen sie jedoch an die digitalen Meldeanforderungen für grenzüberschreitende Lieferungen anpassen. Die Mitgliedstaaten können regeln, dass der Besitz einer elektronischen Rechnung, die in Übereinstimmung mit dem geforderten Standard ausgestellt wurde, für entsprechende Inlandslieferungen eine wesentliche Voraussetzung für das Recht auf Vorsteuerabzug oder Rückforderung der geschuldeten oder gezahlten Mehrwertsteuer ist.
Die Mitgliedstaaten dürfen keine zusätzlichen allgemeinen umsatzbasierte Meldepflichten auferlegen, können aber u. a. nationale Maßnahmen zur Erstellung/Einreichung von MwSt-Erklärungen für Prüfungszwecke beibehalten, z. B. SAF-T-Anforderungen und Meldepflichten, die nicht allgemeiner Art sind, wie z. B. Registrierkassen.
Die oben genannten Anforderungen gelten ab dem 1. Juli 2030. Besondere Regeln sind für Mitgliedstaaten vorgesehen, die bereits über inländische Meldepflichten für digitale Echtzeittransaktionen verfügen oder vor dem 1. Januar 2024 bestimmte Vorbereitungen zu ihrer Einführung getroffen haben. Sie müssen ihre nationalen Systeme bis zum 1. Januar 2035 an die EU Vorgaben anpassen.
2. Mehrwertsteuerliche Behandlung der Plattformwirtschaft („Plattformökonomie“)
Bereits zum 1. Januar 2027 soll die bestehende Fiktion eines Kommissionsgeschäfts im Fall eines Plattformunternehmers, der eine Lieferung innerhalb der EU unterstützt (in Deutschland vgl. § 3 Abs. 3a Satz 1 UStG), auch auf Leistungen an Steuerpflichtige und gleichgestellte Personen ausgedehnt werden. Außerdem soll die Lieferung von Gas, Elektrizität, Wärme und Kälte über Netze durch im betreffenden Mitgliedsstaat nicht ansässige Unternehmer unter bestimmten Voraussetzungen dem OSS unterliegen.
Ab dem 1. Juli 2028 (frühestens) gilt ein Unternehmer, der über eine elektronische Schnittstelle die Kurzzeitvermietung von Unterkünften (maximal 30 Nächte) und/oder die Personenbeförderung auf der Straße vermittelt, als Leistungserbringer der zugrunde liegenden (innerhalb der EU erbrachten) Dienstleistung. Das gilt nicht, wenn der Unternehmer, der die betreffende Dienstleistung tatsächlich erbringt, der Plattform seine lokale Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder eine im Rahmen bestimmter Sonderregelungen vergebene ID-Nummer mitteilt und ihr gegenüber erklärt, dass er die für diese Leistung geschuldete Mehrwertsteuer berechnen wird.
Die Mitgliedstaaten müssen diese Regeln spätestens ab dem 1. Januar 2030 anwenden. Diese Sonderregelungen und die Sonderregelung für Reisebüros (in Deutschland vgl. § 25 UStG) schließen sich gegenseitig aus. Nach Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten soll sie auch nicht für Kleinunternehmer gelten. Weitere Ausnahmen betreffen Plattformen, die lediglich Zahlungen abwickeln, die die Dienstleistungen auflisten oder für sie werben oder Kunden nur weiterleiten. Für die Kurzzeitvermietung wird den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, die Regelung an ihre jeweiligen nationalen Besonderheiten anzupassen.
3. Einzige Mehrwertsteuerregistrierung in der EU
Ab dem 1. Juli 2028 sollen Unternehmen, die in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten tätig sind, sich nicht mehr mehrfach für die Mehrwertsteuer registrieren lassen müssen. Dies soll erreicht werden durch
- die Ausweitung der einzigen Anlaufstelle („One-Stop-Shop“). Dies betrifft u. a. durch Plattformen unterstützte unbewegte Lieferungen, Insstallationslieferungen, Lieferungen an Bord eines Schiffes, eines Flugzeugs oder in einer Eisenbahn sowie zahlreiche nicht grenzüberschreitende Lieferungen nichtansässiger Unternehmer an andere Unternehmer (und Gleichgestellte);
- die Einführung einer Sonderregelung für das Verbringen eigener Gegenstände,
- sowie die obligatorische Umkehrung der Steuerschuldnerschaft in Fällen, in denen der leistende Unternehmer im Gegensatz zu seinem unternehmerischen Kunden nicht in dem Land ansässig bzw. für Mehrwertsteuerzwecke registriert ist, in dem die Mehrwertsteuer entsteht. Die Mitgliedsstaaten können bei Leistungen nichtansässiger Unternehmer darüber hinaus jedoch weitere Regelungen treffen. Eine Ausnahme gilt für Lieferungen im Rahmen der Differenzbesteuerung (vgl. in Deutschland § 25a UStG).
Da die OSS-Vereinfachungsregelung für unternehmensinterne Verbringungen von Gegenständen umfassend ist und auch grenzüberschreitende Beförderungen von Waren einschließt, für die derzeit die Konsignationslagerregelung vorgesehen ist (vgl. in Deutschland § 6b UStG), wird die Konsignationslagerregelung schrittweise abgeschafft (s. u. in der Übersicht für den Zeitplan).
Neben den geschilderten Maßnahmen sind einige weitere Regelungen vorgesehen, z. B. eine Regelung, wonach im Rahmen des OSS keine Versteuerung u. a. nach vereinnahmten Entgelten erfolgt.
Fazit
Die ViDA-Reform läutet eine neue Ära für die Mehrwertsteuer in der digitalen Wirtschaft ein und führt zu erheblichem Anpassungsbedarf für unternehmensinterne Prozesse, die eine sorgfältige Prüfung der Regularien, strategische Planung und zusätzliche Ressourcen erfordern. Die Bedeutung der digitalen Verarbeitung von Daten und der Nutzung der entsprechenden Technologien wird erheblich zunehmen. Auch die Steuerbehörden werden ihre Systeme anpassen müssen, um einen reibungslosen und sowohl für die Unternehmen als auch die Finanzverwaltung vorteilhaften Übergang zu gewährleisten.
Nach der Einigung im ECOFIN muss infolge der erheblichen Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag im Rahmen eines vereinfachten schriftlichen Verfahrens eine erneute Anhörung des Europäischen Parlaments zu dem Kompromisstext stattfinden. Diese Zustimmung sollte in Kürze erfolgen. Danach bedarf es noch einer formellen Annahme der neuen Vorschriften durch den Rat.
Übersicht
1. Digitale Meldepflichten und elektronische Rechnungsstellung
Phase I: Keine Ausnahmeregelung für die Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnungsstellung erforderlich: Ab dem Inkrafttreten der Richtlinie
Phase II: Start des DRR und der neuen elektronischen Rechnungsstellung für EU-Transaktionen: Juli 2030
Phase III: Angleichung der nationalen Systeme zur Echtzeitmeldung sowie ggf. der elektronischen Rechnungstellung: 2035
2. Plattformwirtschaft
Anpassungen des E-Commerce-Pakets vom 1. Juli 2021 – z. B. Einschluss gewisser Lieferungen von Erdgas, Elektrizität, Wärme und Kälte in den OSS: 1. Januar 2027
Plattformbetreiber als fiktiver Leistungserbringer: 1. Juli 2027 (Lieferungen durch Unternehmer aus Nicht-EU-Staaten an Steuerpflichtige); 1. Juli 2028 bis spätestens 2030 (kurzzeitige Vermietung von Unterkünften sowie und Personenbeförderung auf der Straße)
3. Einzige MwSt.-Registrierung
Ausweitung des OSS auf weitere Lieferungen im Rahmen des e-Commerce sowie durch nichtansässige Unternehmer, die Verbringung eigener Waren, Installationslieferungen, den Verkauf von Waren an Bord von Schiffen, Zügen und Flugzeugen: Juli 2028
Ausweitung und Harmonisierung des Übergangs der Steuerschuldnerschaft: Juli 2028
Obligatorisches IOSS für B2C-Verkäufe eingeführter Waren: fallen gelassen, jetzt Teil der Zollreform
Außerkrafttreten der Regelung für Konsignationslager: Juni 2029 (letztmalige Anwendung der bestehenden Regelung für bis einschließlich Juni 2028 eingelagerte Waren)
Fundstelle
Pressemitteilung des Rats der Europäischen Union vom 5. November 2024 mit Links zu den finalisierten Entwürfen des ViDA-Gesetzespakets
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