Vom Europäischen Gerichtshof
Vorsteuerabzug bei unentgeltlicher Zurverfügung-stellung für Subunternehmer
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich erneut mit einem Sachverhalt befasst, in dem ein Unternehmer einen zuvor von ihm erworbenen Gegenstand unentgeltlich einem Dritten überlässt. Sofern der Dritte diesen Gegenstand für den Zweck einer Leistung an den Unternehmer einsetzt, kann ein Vorsteuerabzug in Betracht kommen.
Sachverhalt
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens stellte Gussteile her, die sie in Rumänien bearbeiten ließ. Ihr mit der Herstellung beauftragter Geschäftspartner A beauftragte seinerseits einen Subunternehmer GEP mit der Bearbeitung dieser Teile. Dazu stellte die Klägerin der A eine Immobilie in Rumänien im Rahmen eines auf die GEP übertragbaren Nutzungsrechts zur Verfügung. Außerdem stellte sie der GEP unentgeltlich einen vor ihr erworbenen und sodann auf dem Gelände der Immobilie eingebauten Kran zur Verfügung. Dieser Kran wurde zur Ausführung der Leistungen an die Klägerin verwendet – ohne ihn wäre die Bearbeitung der Gussteile, deren Gewicht mehr als zehn Tonnen betrug, nicht möglich gewesen.
Das Finanzamt stellte fest, dass die Klägerin keine allgemeinen Kontenbilanzen erstellt hatte, aus denen die Einnahmen und Ausgaben im Rahmen ihrer Tätigkeit in Rumänien hervorgingen. Bereits aus diesem Grunde ließ es den Vorsteuerabzug nicht zu. Was die Immobilie samt Kran anging, so kam hinzu, dass die Klägerin der A diese Gegenstände unentgeltlich zur Verfügung gestellt hatte. Weil das Finanzamt der Auffassung war, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass der Erwerb des Krans für die Zwecke ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit erfolgt sei, versagte es den Abzug der Vorsteuer für den Erwerb des Krans.
Entscheidung
Der EuGH führte aus, dass der Vorsteuerabzug unter anderem dann offenstehe, wenn die Kosten für die fraglichen Gegenstände und Dienstleistungen direkt und unmittelbar entweder mit ein oder mehreren Ausgangsumsätzen oder mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammenhingen. Die Frage, ob ein solcher Zusammenhang vorliege, sei anhand des objektiven Inhalts des betreffenden Umsatzes zu beurteilen. Bestehe ein solcher Zusammenhang, könne der Umstand, dass A und GEP der Kran unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden sei, den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Es komme darauf an, ob die Kosten für den Erwerb des Krans ein Kostenelement für die Ausgangsumsätze der Klägerin bzw. ihrer gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit seien.
Nach Auffassung des EuGH war zu prüfen, ob sich die Zurverfügungstellung des Krans auf das beschränkte, was erforderlich war, um die Bearbeitung der Gussteile für Rechnung der Klägerin zu gewährleisten, oder ob sie über das zu diesem Zweck Erforderliche hinausging. Im ersten Fall sei der Vorsteuerabzug zu gewähren, im letzteren Fall sei eine Aufteilung zwischen abziehbarer und nicht abziehbarer Vorsteuer erforderlich.
Was dagegen den Umstand anginge, dass für die feste Niederlassung der Klägerin in Rumänien keine getrennten Aufzeichnungen geführt worden seien, so gebiete das Grundprinzip der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass der Vorsteuerabzug gewährt werde, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt seien, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt habe. Anders verhalte es sich allerdings, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindere, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden. Zu den formellen Anforderungen gehöre insbesondere das in Art. 242 der Richtlinie vorgeschriebene Führen angemessener Aufzeichnungen. Auch wenn der Steuerpflichtige keine getrennten Aufzeichnungen für seine feste Niederlassung in Rumänien geführt habe, könne die Finanzverwaltung ihm die Möglichkeit der Ausübung seines Rechts auf Vorsteuerabzug nicht verweigern, wenn sie in der Lage sei, alle für die Feststellung des Bestehens und des Umfangs dieses Rechts erforderlichen Nachprüfungen vorzunehmen. Die Versagung des Vorsteuerabzugs als Sanktion gehe dann über das hinaus, was erforderlich sei, um die ordnungsgemäße Befolgung der Verpflichtungen des Steuerpflichtigen sicherzustellen, wobei die Mitgliedsstaaten nicht daran gehindert seien, angemessene Geldbußen oder finanzielle Sanktionen zu verhängen.
Hinweis
In Zusammenhang mit den Aufzeichnungen führt der EuGH mehrfach eine feste Niederlassung an, die nicht weiter erläutert wird. Damit scheint nicht (oder wenigstens nicht ausschließlich) die Immobilie gemeint zu sein, sofern sie als Grundstück mit aufstehendem Kran zu verstehen ist, weil eine Einstufung dieser Vorrichtung (als solcher) als feste Niederlassung einer Reihe vom EuGH selbst aufgestellter Grundsätze widerspräche: Es ist wohl nicht davon auszugehen, dass der EuGH en passant weite Teile seiner Rechtsprechung der letzten zehn Jahre zu festen Niederlassungen umwerfen möchte.
Offenbar möchte der EuGH den vorliegenden Sachverhalt von einem anderen Fall abgrenzen, nämlich von demjenigen, der seinem (im Urteil allerdings nicht erwähnten) Urteil in der Rechtssache „W-GmbH“ zugrunde lag. In diesem Urteil hatte eine Holding unentgeltliche Dienstleistungen an ihre Töchter erbracht, die sie für wirtschaftliche Tätigkeiten verwendeten. Der Holding war der Vorsteuerabzug aus den Eingangsumsätzen versagt worden, weil diese Leistungen nicht mit ihren eigenen Umsätzen oder ihrer eigenen Geschäftstätigkeit, sondern mit Umsätzen Dritter zusammenhingen. Im vorliegenden Fall kam es ebenfalls zu einer unentgeltlichen Zurverfügungstellung an Dritte, die allerdings nicht mit deren Umsätzen, sondern mit eigenen Umsätzen des Unternehmers zusammenhingen. Hierfür soll (anders als im Urteil „W-GmbH“) der Vorsteuerabzug grundsätzlich statthaft sein.
Fundstellen
EuGH C-475/23 „Voestalpine Giesserei“, Urteil vom 4. Oktober 2024; C-98/21 „W-GmbH“, Urteil vom 8. September 2022
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