Aus der Rechtsprechung
Vorsteuerabzug bei Lieferung von Mieterstrom
Der Bundesfinanzhof (BFH) ist der Auffassung, dass die Lieferung von Strom durch den Vermieter an die Mieter als steuerpflichtige selbstständige Hauptleistung gelten kann. Das eröffnet die Möglichkeit zum Abzug damit zusammenhängender Vorsteuerbeträge.
Sachverhalt
Der Kläger vermietete (umsatzsteuerfrei) Wohnraum in zwei Häusern. Auf beiden ließ er eine Photovoltaikanlage installieren und jeweils zwei Messungen verbauen: Die erste erfasste die Gesamtproduktion des Stroms, die zweite den an die Mieter abgegebenen Strom. Überschüssiger Strom aus der Anlage wurde an einen Dritten geliefert, von den Mietern zusätzlich benötigter Strom besorgte der Kläger in eigenem Namen von dritter Seite und gab ihn mit einem Gewinnaufschlag an die Mieter ab. Er rechnete über einen Gemeinschaftszähler im jeweiligen Haus und entsprechende Unterzähler gemäß der jeweiligen Verbrauchsmenge mit den Mietern ab. Dazu hatte er mit den Mietern (zeitlich und inhaltlich unabhängig von den jeweiligen Mietverträgen) Zusatzvereinbarungen über die Stromversorgung abgeschlossen, die unter anderem abweichende Kündigungsvereinbarungen vorsahen. Für den Fall, dass ein Mieter nach einer Kündigung den Strom von einem anderen Lieferanten bezog, hatte er die Kosten der Umbaumaßnahmen der Zähleranlage zu tragen. Der Kläger machte die Vorsteuer aus der Anschaffung der Photovoltaikanlage geltend. Das Finanzamt ließ die Vorsteuer nicht zum Abzug zu: Bei den Stromlieferungen handle es sich um unselbständige Nebenleistungen zur steuerfreien Vermietung.
Entscheidung
Der BFH gab dem Kläger recht. Die Lieferung von Mieterstrom an Wohnungsmieter sei eine selbstständige steuerpflichtige Hauptleistung neben der steuerfreien Wohnungsvermietung gewesen. Dazu berief er sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs „WAM“. Diesem Urteil zufolge seien hinsichtlich der Vermietung von Immobilien zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
- Kann der Mieter seine Lieferanten und/oder die Nutzungsmodalitäten der Leistungen selbst auswählen, können diese Leistungen grundsätzlich als von der Vermietung getrennt angesehen werden – insbesondere, wenn die Leistungen verbrauchsabhängig abgerechnet werden und somit der Mieter über seinen Verbrauch entscheiden kann.
- Bildet die Vermietung eines Gebäudes in wirtschaftlicher Hinsicht offensichtlich mit den begleitenden Leistungen objektiv eine Gesamtheit, kann von einer einheitlichen Leistung ausgegangen werden – was besonders bei kurzzeitiger Immobilienvermietung der Fall sein kann.
Ersteres war hier der Fall: Der BFH bestätigte das erstinstanzliche Gericht mit seinen Erwägungen, dass der Kläger mit den Mietern über individuelle Unterzähler abgerechnet hatte. Hinzu kämen die individuellen Zusatzvereinbarungen mit der abweichenden Kündigungsmöglichkeit. Die freie Wahl des Stromanbieters sei durch die Verpflichtung, die Kosten des Umbaus zu tragen, nicht ausgeschlossen, zumal es denkbar sei, dass angesichts des Wettbewerbs derartige Umbaukosten ganz oder teilweise von einem neuen Stromlieferanten übernommen werden könnten.
Abgesehen von den vertraglichen Vereinbarungen seien die Mieter auch gesetzlich frei gewesen, ihren Stromlieferanten frei zu wählen: § 42a Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes bestimme ausdrücklich ein Kopplungsverbot von Miet- und Energieversorgungsvertrag. Demnach dürfe ein Vertrag über die Belieferung von Letztverbrauchern mit Mieterstrom (Mieterstromvertrag) nicht Bestandteil eines Vertrags über die Miete von Wohnräumen sein. Bei einem Verstoß gegen dieses Verbot sei der Mieterstromvertrag nichtig. Eine Bestimmung, durch die das Kündigungsrecht während der Dauer des Mietverhältnisses ausgeschlossen oder beschränkt wird, sei unwirksam.
Die Einstufung der Stromlieferungen als Hauptleistung diene auch dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, weil der Vermieter mit anderen Stromanbietern in Konkurrenz trete, die Strom nur umsatzsteuerpflichtig liefern könnten.
Der BFH gewährte daher den Vorsteuerabzug auf die Anschaffung der Photovoltaikanlagen, weil die Kosten des Vermieters für diese Anschaffung nicht im direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit der umsatzsteuerfreien Wohnraumvermietung, sondern mit den umsatzsteuerpflichtigen Stromlieferungen standen. In Zusammenhang mit der Frage, inwieweit die Kosten der Photovoltaikanlage Kostenelemente der besteuerten Ausgangsumsätze des Klägers gewesen seien, betont der BFH, dass der Kläger marktübliche Stromentgelte erhoben habe, die den Kostendeckel des § 42a Abs. 4 EnWG beachteten und dadurch unter anderem zumindest die Kosten seiner Photovoltaikanlagen gedeckt hätten.
Hinweis
Mit diesem Urteil tritt der BFH offenbar der Verwaltungsauffassung entgegen, wonach als Nebenleistung zur umsatzsteuerfreien Wohnraumvermietung in der Regel unter anderem die Lieferung von Strom durch den Vermieter anzusehen sei. Hierbei grenzt er sein Urteil von dem erst jüngst veröffentlichten Urteil in der Rechtssache V R 15/21 ab (siehe Ausgabe 03 unseres Umsatzsteuer-Newsletters vom März 2024). Gegenstand dieses Urteils war der Erwerb und die Installation einer neuen Heizungsanlage, die nicht mit einer (ggf. steuerpflichtigen) Lieferung von Wärme und Warmwasser, sondern mit der steuerfreien Vermietung in unmittelbarem Zusammenhang stand. Der Vermieter von Wohnraum schulde, wie der BFH im jetzt veröffentlichten Urteil mitteilte, zum vertragsgemäßen Gebrauch zwar die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, jedoch nicht die Lieferung von Strom.
Im Streitfall hatte der Vermieter offenkundig einige Sorgfalt darauf verwendet, bereits durch die vertragliche Gestaltung mit seinen Stromlieferungen eine selbstständige Leistung herbeizuführen. Das Urteil erweckt den Eindruck, als hätten die rechtsgeschäftlichen Vorkehrungen des Vermieters auch ohne das gesetzliche Kopplungsverbot von Mietvertrag und Stromlieferungsvertrag für die Annahme einer selbstständigen Leistung hingereicht: In den vom BFH bestätigten Ausführungen des erstinstanzlichen Finanzgerichts (FG) wird das Kopplungsverbot (das in seinem Anwendungsbereich offenbar auf ganz bestimmte Lieferungen von Solarstrom beschränkt ist) gar nicht erwähnt.
Ganz sicher ist das nicht: Die Generalanwältin am EuGH Juliane Kokott führte (worauf das Finanzamt verwies) in ihren Schlussanträgen zum Urteil „Frenetikexito“ aus, dass ein Leistungsempfänger an der Lieferung unter anderem von Strom nur im Zusammenhang mit der Überlassung der Räumlichkeiten Interesse habe, so dass es sich nach ihrer Auffassung um Nebenleistungen handle. Diesen Einwand tut der BFH ausschließlich mit dem Hinweis auf das Kopplungsverbot ab.
Der Steuerpflicht der Stromlieferungen steht das (streitgegenständliche) Vorsteuerabzugsrecht aus Eingangsleistungen gegenüber, die mit diesen Stromlieferungen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang stehen. Allerdings ist das Vorsteuerpotential nach Einführung des Nullsatzes auf die Lieferung und Installation von Photovoltaikanlagen und einiger weiterer Geräte zum 1. Januar 2023 etwas weniger bedeutsam als ehedem.
Fundstelle
BFH XI R 8/21, Urteil vom 17. Juli 2024; vorgängig FG Niedersachsen 11 K 201/19, Urteil vom 25. Februar 2021
BFH V R 15/21, Urteil vom 7. Dezember 2023
EuGH C-42/14 „Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie“ („WAM“), Urteil vom 16. April 2015
Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott im Verfahren C-581/19 „Frenetikexito“ vom 22. Oktober 2020
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