Aus der Rechtsprechung
Verfassungsmäßig-keit des Zinssatzes für Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung
Im Jahr 2021 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Höhe des Zinssatzes für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat (6 Prozent p. a.) für verfassungswidrig erklärt. Diese Entscheidung betraf jedoch nicht die Zinsen für die Aussetzung der Vollziehung (AdV) oder andere Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung (AO). Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) zweifelt nun an der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes für AdV-Zinsen.
Allgemeines und Vorgeschichte
Einspruch und Klage im Steuerrecht haben grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass festgesetzte Abgaben weiterhin erhoben und vollstreckt werden können, es sei denn, eine AdV wird (gewöhnlich auf Antrag des Steuerpflichtigen) gesondert angeordnet. Voraussetzungen für eine AdV sind unter anderem ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts oder eine unbillige Härte für den Steuerpflichtigen. Soweit eine AdV gewährt wurde und beispielsweise der zugrunde liegende Einspruch endgültig keinen Erfolg gehabt hat, ist der von der Vollziehung ausgesetzte Betrag gemäß § 237 Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen.
Bereits seit vielen Jahrzehnten erfolgte eine Verzinsung für alle Zinstatbestände der AO zu einem einheitlichen Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat (6 Prozent p. a.). Dieser Zinssatz erschien angesichts einer anhaltenden Niedrigzinsphase schon vor Jahren zweifelhaft. Schließlich entschied das BVerfG im Jahr 2021, dass der Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen im Sinne des § 233a AO seit dem 1. Januar 2014 den Erhebungszweck – die Abschöpfung des Liquiditätsvorteils – nicht mehr angemessen abbilde und sich als „evident nicht mehr realitätsgerecht“ erwiesen habe. Das bisherige Recht wurde jedoch für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume weiterhin als anwendbar erklärt (vgl. Ausgabe 09 unseres Newsletters Umsatzsteuer-News vom September 2021). Für den Zeitraum ab 2019 kam es im Jahr 2022 zu einer Neuregelung durch das „Zweite Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“ (vgl. Ausgabe 08 unseres Newsletters Umsatzsteuer-News vom August 2022). Seither werden Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO zu 0,15 Prozent pro Monat (1,8 Prozent p. a.) verzinst. Das BVerfG hatte die Unvereinbarkeitserklärung jedoch ausdrücklich nicht auf andere Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung wie etwa AdV-Zinsen oder Hinterziehungszinsen ausgedehnt.
Entscheidung
Der VIII. Senat hat dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorgelegt, ob der Zinssatz für die Aussetzung der Vollziehung (§ 237 AO) für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 15. April 2021 verfassungsgemäß ist. (Das Enddatum ergibt sich aus der Zinsfestsetzung im konkreten Verfahren, das der VIII. Senat zum Zweck der Vorlage zum BVerfG aussetzte.)
Der Regelungszweck der AdV-Zinsen bestehe in der Abschöpfung des Liquiditätsvorteils und darin, unnötige Prozesse zu verhindern. Nach Meinung des VIII. Senats waren unter den zu beurteilenden Umständen (Niedrigzinsphase) seiner Meinung nach AdV-Zinsen in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat nicht erforderlich, um den Liquiditätsvorteil abzuschöpfen. Der AdV-Zinssatz in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat sei im Streitfall gleichermaßen evident realitätsfern wie der vom BVerfG verworfene Zinssatz bei Nachzahlung. Mit einem deutlich niedrigeren AdV-Zinssatz hätte der Gesetzgeber den angestrebten Regelungszweck bei geringerer Ungleichbehandlung gleich wirksam fördern können. Was den Zweck der Vermeidung unnötiger Prozesse anging, verkehre der hohe Zinssatz diesen Zweck praktisch in sein Gegenteil – dass Steuerpflichtige von einem Antrag auf AdV Abstand nähmen, weil sie die hohen Kosten scheuten.
Hinweis
Steuerpflichtige sollten erwägen, jedenfalls gegen Zinsbescheide über AdV-Zinsen, die in einem Verzinsungszeitraum ab 1. Januar 2019 entstanden sind, Einspruch einzulegen und sie offenzuhalten.
Fundstellen
BFH VIII R 9/23, Vorlagebeschluss vom 8. Mai 2024;
BVerfG 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, Beschluss vom 8. Juli 2021
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