Vom Europäischen Gerichtshof
Unentgeltliche Wertabgaben an andere Steuerpflichtige
Nach Meinung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) kann die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe nicht schon deshalb entfallen, weil die Wertabgabe einem anderen Unternehmer zugewendet wird.
Sachverhalt
Die Klägerin betrieb eine Biogasanlage zur Erzeugung von Biogas aus Biomasse, das sie zur dezentralen Strom- und Wärmeproduktion nutzte. Während der Strom überwiegend in das allgemeine Stromnetz eingespeist und vom Stromnetzbetreiber vergütet wurde, diente die durch diesen Prozess erzeugte Wärme nur zu einem Teil dem Produktionsprozess der Klägerin. Den überwiegenden Teil der Wärme überließ die Klägerin zwei Unternehmern, die damit (offenbar für unternehmerische Zwecke) Holz trockneten und Spargelfelder beheizten. In beiden Verträgen war zwar geregelt, dass die Höhe der Vergütung je nach wirtschaftlicher Lage des Wärmeabnehmers individuell vereinbart und in den Verträgen nicht festgelegt werde. Da aber die Klägerin den beiden Abnehmern ihrer Wärme kein Entgelt in Rechnung stellte, ging das Finanzamt von einer unentgeltlichen Wertabgabe der Wärme aus.
Der Bundesfinanzhof (BFH) fand es zweifelhaft, ob überhaupt eine unentgeltliche Wertabgabe vorlag, weil diese Wertabgaben an andere Unternehmer erbracht worden waren. Er hielt es für möglich, dass die unentgeltlichen Wertabgaben nicht zu einem unversteuerten Endverbrauch führten und somit die Besteuerung dieser Wertabgaben in ihrem Anwendungsbereich einzuschränken seien. In diesem Zusammenhang frage sich, ob ein unversteuerter Endverbrauch dann zu verneinen sei, wenn der Zuwendungsempfänger ein Steuerpflichtiger sei, der den Gegenstand zur Ausübung (irgend)einer wirtschaftlichen Tätigkeit verwende, oder ob das nur dann der Fall sei, wenn ihn diese wirtschaftliche Tätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtige. Der BFH hatte hierbei das Urteil des EuGH in der Rechtssache „Mitteldeutsche Hartstein“ im Auge. Dem Sachverhalt dieses Urteils zufolge hatte ein Steinbruchunternehmer im Zuge der Erschließung seines Steinbruchs auf eigene Kosten eine Gemeindestraße ertüchtigt: Nach Auffassung des EuGH hatte er mit der Zuwendung der Ertüchtigung mangels eines unversteuerten Endverbrauchs keine unentgeltliche Wertabgabe an die Gemeinde getätigt.
Außerdem fragte sich der BFH, ob bei der Ermittlung des Selbstkostenpreises für den unentgeltlich zugewandten Gegenstand nur die mit Mehrwertsteuer belasteten Kosten zu berücksichtigen seien. Wenn der Steuerpflichtige, der einen Gegenstand herstellt, die nicht vorsteuerbelasteten Kosten bei der Ermittlung des Selbstkostenpreises dieses Gegenstands außer Ansatz lassen dürfe, erlange er gegenüber dem Endverbraucher, der einen Gegenstand herstellt, keinen ungerechtfertigten Vorteil. Außerdem fragte der BFH, ob der Selbstkostenpreis nur die unmittelbaren Herstellungs- oder Erzeugungskosten des unentgeltlich zugewandten Gegenstands umfasse oder ob auch nur mittelbar zurechenbare Kosten wie Finanzierungsaufwendungen dazu gehörten – was bejahendenfalls allerdings zu Schwierigkeiten bei der Wertbemessung führen könne.
Entscheidung
Mit Blick auf die Richtlinie führte der EuGH aus: Die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen werde einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt, wenn damit eine unentgeltliche Zuwendung bewirkt werde und der entnommene Gegenstand oder seine Bestandteile diesen Steuerpflichtigen zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hätten. Aus dem Wortlaut der betreffenden Vorschrift ergebe sich aber nicht, dass dies zusätzlich vom steuerlichen Status des Empfängers dieser Zuwendung und der Verwendung des Gegenstands abhängig sei.
Die Vorschrift diene der Verhinderung eines unversteuerten Endverbrauchs. Sie solle sicherstellen, dass der Steuerpflichtige, der für seinen privaten Bedarf oder den seines Personals einen Gegenstand entnimmt, steuerlich dieselbe Behandlung erfährt wie ein Endverbraucher, der einen Gegenstand gleicher Art erwirbt. Um aber Fälle eines unversteuerten Endverbrauchs zu vermeiden, müsse die unentgeltliche Zuwendung einer späteren Besteuerung unterliegen - unabhängig davon, wer sie erhält. Nur die Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster zu Zwecken des Unternehmens seien von der Besteuerung ausgenommen. Nichts davon lag nach Auffassung des EuGH hier vor. Im Übrigen würde nach seiner Auffassung eine Berücksichtigung des steuerlichen Status des Empfängers des betreffenden Gegenstands zu praktischen Schwierigkeiten führen, da dieser Status vom abgebenden Steuerpflichtigen geprüft werden müsse.
Der Verweis des BFH auf die „Mitteldeutsche Hartstein“-Rechtsprechung verfing nicht: In diesem Fall kamen die Arbeiten an der Ertüchtigung einer Gemeindestraße für den Schwerlasttransport dem zuwendenden Steuerpflichtigen zugute, sie wiesen auch einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit auf. Außerdem seien die Kosten der erhaltenen Eingangsleistungen, die mit diesen Arbeiten in Zusammenhang standen, Kostenelemente der von diesem Steuerpflichtigen getätigten Ausgangsumsätze gewesen. Dagegen gebe es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die der Klägerin entnommene und unentgeltlich zugewandte Wärme auch von ihr genutzt worden sei.
Was die Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche Wertabgabe anging, so gehe aus der einschlägigen Vorschrift nicht hervor, dass der Selbstkostenpreis nur auf den unmittelbaren Herstellungs- oder Erzeugungskosten oder den vorsteuerbelasteten Kosten beruhen dürfe. Was besonders die mittelbaren Kosten anging, so seien sie auch nicht explizit ausgeschlossen worden. Der Selbstkostenpreis müsse im Übrigen so nah wie möglich am Einkaufspreis liegen und folglich sowohl die unmittelbaren Herstellungs- und Erzeugungskosten als auch mittelbare Kosten wie Finanzierungsaufwendungen einschließen, wobei es keine Rolle spiele, ob es sich um vorsteuerbelastete Kosten handele oder nicht.
Hinweis
Es bleibt für unentgeltliche Wertabgaben an andere Unternehmer dabei, dass diese Mehrwertsteuer beim abgebenden Unternehmer auslösen. Dem EuGH ist darin recht zu geben, dass die Verwendung der unentgeltlichen Leistung durch den Empfänger für den leistenden Steuerpflichtigen oft nur schwer (oder überhaupt nicht) zu überprüfen ist. Der EuGH entschied zur Entnahme eines Gegenstands – die Grundsätze des Urteils dürften aber grundsätzlich auch für unentgeltliche Dienstleistungen gelten.
Das Urteil des EuGH erscheint aber auch im Kontext der „Mitteldeutsche Hartstein“-Rechtsprechung folgerichtig. Er legt hier im Ergebnis die Prinzipien zugrunde, die er bereits in seinen Urteilen „Vos Aannemingen“ und „W-GmbH“ umrissen hat, und wechselt lediglich die Perspektive. In den genannten Urteilen hatte er entschieden, dass für Eingangsumsätze, die nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Ausgangsumsätzen des Steuerpflichtigen, sondern mit den Umsätzen Dritter stehen, der Vorsteuerabzug nicht statthaft sei. Im vorliegenden Urteil befasst er sich anstatt mit der Eingangsseite mit der Ausgangsseite. Jedenfalls dann, wenn ein Dritter (wie offenbar hier) einen nicht nur nebensächlichen Vorteil erlangt, weil die Weiterleistung seinen Bedürfnissen dient, sieht auch das Bundesministerium der Finanzen (BMF) keinen Grund, von der Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe abzurücken.
Fundstellen
EuGH C-207/23 "Y KG" (am EuGH geführt unter „Finanzamt X“), Urteil vom 25. April 2024;
EuGH C-528/19 „Mitteldeutsche Hartstein“, Urteil vom 16. September 2020; C-405/19 „Vos Aannemingen“, Urteil vom 1. Oktober 2020; C-98/21 „W-GmbH“ (am EuGH geführt unter "Finanzamt R"), Urteil vom 8. September 2022;
BMF-Schreiben vom 24. Januar 2024
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