Aus der Rechtsprechung
Aktiengesellschaft als Organ-gesellschaft – organisatorische Eingliederung
In einer Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde hat der Bundesfinanzhof (BFH) Zweifel erkennen lassen, dass sich die für Fälle einer Organ-GmbH entwickelten Grundsätze der organisatorischen Eingliederung ohne weiteres auf Aktiengesellschaften als Organgesellschaften übertragen lassen – jedenfalls soweit es die Einsetzung von Mitarbeitern des Organträgers im Geschäftsführungsorgan der Organgesellschaft angeht.
Sachverhalt
Die Klägerin (Beschwerdeführerin) war eine AG, die Alleinaktionärin der A-AG war. Die einzige Tätigkeit der A-AG bestand in der Vermietung eines Bürogebäudes an die Klägerin. Zwischen beiden war ein Gewinnabführungsvertrag, aber kein Beherrschungsvertrag und keine Eingliederung nach § 319 AktG vereinbart worden. Sowohl der Vorstand der A-AG als auch ihr Aufsichtsrat bestand aus Mitarbeitern der Klägerin, die weder Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats der Klägerin noch bei dieser als leitende Angestellte im arbeitsrechtlichen Sinne tätig waren. Die Klägerin ging von einer umsatzsteuerlichen Organschaft aus, das Finanzamt lehnte jedoch eine organisatorische Eingliederung der A-AG in das Unternehmen der Klägerin ab.
Entscheidung
Der BFH sah keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, so dass er die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin zurückwies. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG setze voraus, dass der Organträger bei der Organgesellschaft seinen Willen durchsetzen kann. Dem entspreche das Erfordernis der organisatorischen Eingliederung mit Durchgriffsrechten, neue Gesichtspunkte seien hier nicht erkennbar.
Der BFH hatte bei früherer Gelegenheit (für den Fall einer teilweisen personellen Verflechtung über die Geschäftsführungsorgane) mitgeteilt: Eine organisatorische Eingliederung könne bei einer GmbH vorliegen, wenn einer von mehreren einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführern der Organ-GmbH auch Geschäftsführer der Organträger-GmbH sei, der Organträger über ein umfassendes (gesellschaftsrechtliches, vgl. §37 Abs. 1 und 2 GmbHG) Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der Organ-GmbH verfüge und er (wiederum gesellschaftsrechtlich, § 46 Nr. 5 GmbHG) zur Bestellung und Abberufung aller Geschäftsführer der Organ-GmbH berechtigt sei. Unter diesen Voraussetzungen sei eine organisatorische Eingliederung auch anzunehmen, wenn einer der Geschäftsführer der Organgesellschaft nicht Mitglied des Geschäftsführungsorgans, sondern lediglich leitender Mitarbeiter des Organträgers sei.
Die Klägerin habe aber nicht dargelegt, ob und gegebenenfalls wie sie das von ihr angenommene dienstvertragliche Weisungsrecht gegenüber ihren Mitarbeitern gesellschaftsrechtlich bei der A-AG hätte durchsetzen können oder weshalb auf dieses Kriterium bei einer AG zu verzichten sein könnte. Insbesondere hätten Ausführungen dazu gefehlt, wie dies mit § 76 Abs. 1 AktG vereinbar sein könnte. Demnach leite der Vorstand die Geschäfte der AG unter eigener Verantwortung und sei dementsprechend weisungsfrei. Auch der Umstand, dass der Aufsichtsrat einer AG den Vorstand bestellt, ihn abberuft und seine Geschäftsführung zu überwachen hat, habe der Klägerin keine Weisungsbefugnisse verschafft, mit denen sie ihren Willen in der laufenden Geschäftsführung hätte durchsetzen können. Es sei auch offen, wie die Klägerin ihr Abberufungsrecht durchsetzen wolle, wenn die Vorstände sich auf einen Vertrauensentzug aus offenbar unsachlichen Gründen nach § 84 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 AktG berufen sollten. Auch im Fall eines faktischen Konzerns bleibe der Vorstand der abhängigen AG zur eigenverantwortlichen Unternehmensleitung berechtigt und verpflichtet und sei nicht gehalten, Weisungen des herrschenden Unternehmens Folge zu leisten.
Schließlich hatte die Klägerin die Rechtsfrage aufgeworfen, ob es für die Annahme der organisatorischen Eingliederung gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG genüge, dass „einfache“ (nicht-leitende) Mitarbeiter der Muttergesellschaft den Vorstand der Tochtergesellschaft bilden. Jedoch hatte die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung dieser Frage nicht dargelegt. Außerdem, so der BFH, scheitere eine Revisionszulassung daran, dass hier wiederum eine Übertragung der Rechtsprechung zur Organ-GmbH auf AG-Fälle angestrebt wurde.
Hinweis
Mit diesem Beschluss wies der BFH eine Nichtzulassungsbeschwerde zurück. Das heißt, dass nicht in erster Linie zur Sache, sondern im Wesentlichen zur Frage entschieden wurde, ob ein Revisionsgrund vorlag oder nicht. Allerdings lässt der Beschluss erkennen, dass der BFH es als problematisch ansieht, die für die organisatorische Eingliederung einer GmbH entwickelten Grundsätze (vor allem, was die Einsetzung von Mitarbeitern als Geschäftsführungsorgane der Organgesellschaft betrifft) ohne weiteres auf eine Aktiengesellschaft mit ihren Besonderheiten zu übertragen.
Der BFH bekräftigt: Eine organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass der Organträger bei der Organgesellschaft seinen Willen durchsetzen kann. Insbesondere sei bei einer Aktiengesellschaft der Vorstand nicht weisungsgebunden (auch gegenüber Weisungen von Groß- oder Alleinaktionären), er lasse sich zudem nicht ohne weiteres durch die Hauptversammlung abberufen. Der BFH wirft zudem die Frage auf, ob bei einer AG Vorstandsmitglieder überhaupt Drittanstellungsverträge abschließen können.
Das (hier ohnehin ebenfalls zweifelhafte) Erfordernis, ein Vorstandsmitglied auch gesellschaftsrechtlich abberufen zu können, kann dem BFH zufolge diese mangelnde Befugnis nicht ersetzen. Hinzu kommt, dass der Vorstand einer AG sich in gewissen vom BFH angesprochenen Fällen gegen seine Abberufung zur Wehr setzen kann. Das erstinstanzliche Finanzgericht hatte kein unmittelbares Abberufungsrecht des potenziellen Organträgers ausmachen können: Die Klägerin habe allenfalls gegenüber dem Aufsichtsrat der A-AG anregen können, das Vorstandsmitglied aus wichtigem Grund abzuberufen. Berufe sich der Vorstand eigenmächtig auf seine Weisungsfreiheit nach § 76 Abs. 1 AktG, sei das keine grobe Pflichtverletzung und begründe kein Abberufungsrecht.
Zur Rolle des Aufsichtsrats der A-AG im Zusammenhang mit der organisatorischen Eingliederung teilt er mit, dass der Aufsichtsrat die Geschäftsführung des Vorstands weisungsunabhängig überwacht, zum anderen habe die Klägerin sich aus den Befugnissen des Aufsichtsrats jedenfalls keine hinreichenden gesellschaftsrechtlichen Weisungsbefugnisse gegenüber dem Vorstand der A-AG beschaffen können.
Das erstinstanzliche Finanzgericht hatte außerdem ausgeführt, dass sich die organisatorische Eingliederung auch nicht ausnahmsweise durch andere institutionell abgesicherte organisatorische Maßnahmen ergeben habe. Dazu müsse der Organträger durch schriftlich fixierte Vereinbarungen (zum Beispiel Geschäftsführerordnung, Konzernrichtlinie, Anstellungsvertrag) in der Lage sein, gegenüber Dritten seine Entscheidungsbefugnis schlüssig darzulegen und den Geschäftsführer der Organgesellschaft bei Verstößen gegen seine Anweisungen zivilrechtlich haftbar zu machen. Die von der Klägerin insoweit (im Beschluss genauer aufgezählten) ergriffenen Maßnahmen fand das Finanzgericht unzureichend, sie seien im Kern lediglich Ausfluss der bestehenden finanziellen Verflechtung. Der BFH selbst macht dazu keine Ausführungen. Beachten Sie bitte, dass im Urteilsfall weder ein Beherrschungsvertrag abgeschlossen war noch eine Eingliederung i. S. v. § 319 AktG vorlag. Diese beiden Rechtsinstitute scheinen also weiterhin durchaus geeignet, eine organisatorische Eingliederung einer AG herzustellen.
Fundstelle
BFH V B 67/22, Beschluss vom 13. März 2024
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