Aus der Finanzverwaltung
Vorsteuerabzug bei mittelbar unternehmerisch veranlasstem Leistungsbezug
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) überträgt die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) unter anderem in seinem Urteil „Mitteldeutsche Hartstein“ entwickelten Grundsätze in den Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE). Das betrifft vor allem den Vorsteuerabzug von Unternehmern aus Eingangsleistungen zur Ausübung ihrer unternehmerischen Tätigkeit, die (auch) eine unentgeltliche Leistung an einen Dritten zur Folge haben.
Das Schreiben
Bislang galt: Bezieht ein Unternehmer eine Leistung, um diese an einen Dritten unentgeltlich weiter zu leisten, ist der Vorsteuerabzug grundsätzlich ausgeschlossen, weil diese Leistung nicht „für das Unternehmen“ bezogen wird (vgl. Abschnitt 15.2b Abs. 2 Satz 6 f. UStAE). Nur mittelbar verfolgte unternehmerische Zwecke sind gewöhnlich unerheblich. Jetzt hat das BMF seine Rechtsauffassung im UStAE angepasst: Ein Vorsteuerabzug ist danach möglich, wenn mit dem Bezug der Leistung (neben der unentgeltlichen Leistung an einen Dritten) zugleich die eigene unternehmerische Tätigkeit ermöglicht werden soll. Hierzu müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:
- Die bezogene Eingangsleistung geht nicht über das hinaus, was erforderlich bzw. unerlässlich ist, um diesen Zweck zu erfüllen;
- die Kosten für die Eingangsleistung sind Bestandteil des Preises der vom Unternehmer erbrachten Leistungen und
- der Vorteil des Dritten ist allenfalls nebensächlich.
Erforderlich bzw. unerlässlich sei der Bezug einer Leistung insbesondere dann, wenn der Unternehmer seine wirtschaftliche Tätigkeit ohne Ausführung dieses Leistungsbezugs nicht ausüben oder fortführen könnte. Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn der Leistungsbezug seinen Grund allein in der Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung (wie z. B. einer behördlichen Auflage) hat. In diesem Zusammenhang geht das BMF auf die Folgen ein, wenn der Leistungsbezug über das Erforderliche bzw. Unerlässliche hinausgeht: Offenbar soll dann eine Aufteilung erfolgen können, obgleich ein Zuordnungswahlrecht nicht bestehen soll. Der Vorteil des Dritten sei insbesondere dann allenfalls nebensächlich, wenn die Weitergabe der Leistung nicht den Bedürfnissen dieses Dritten dient oder wenn der Vorteil dieses Dritten gegenüber dem Bedarf des Unternehmers nur nebensächlich ist. Zur Frage, wann (und wann nicht) die Kosten Preisbestandteil der Ausgangsleistungen des Unternehmers werden, äußert sich das BMF nicht.
Das BMF veranschaulicht das mit zwei Beispielen. Das erste (Ausbau einer Straße zur Ausbeutung eines Steinbruchs) ist weitgehend dem Sachverhalt des EuGH-Urteils „Mitteldeutsche Hartstein“ entlehnt. Das sehr anschauliche zweite Beispiel handelt von einer vorhandenen, für den Lkw-Verkehr zur Belieferung eines Unternehmers bereits nutzbaren Straße. Hier werden die betrieblichen Abläufe durch ein hohes Aufkommen an Fahrradfahrern gestört, die auf dieser Straße unterwegs sind und die Unfallgefahr erhöhen. Der Unternehmer veranlasst drei Maßnahmen (alle auf Gemeindegrund bzw. der öffentlichen Straße): Er verbreitert die Straße; er baut freiwillig einen neben der Straße verlaufenden Fahrradweg; und er führt Maßnahmen zur Begrünung des Naherholungsgebiets durch. Im Ergebnis soll der Vorsteuerabzug aus der ersten Maßnahme (Straßenverbreiterung) zulässig sein, nicht aber aus den für die beiden anderen Maßnahmen bezogenen Leistungen: im Fall des Fahrradwegs (offenbar), weil die Maßnahme nicht erforderlich bzw. unerlässlich sei, jedenfalls aber, weil der Vorteil für die Gemeinde bzw. die Allgemeinheit nicht nebensächlich sei. Die Begrünung sei weder für die wirtschaftliche Tätigkeit erforderlich (auch nicht als gemeindliche Auflage) noch für die Gemeinde nebensächlich. Die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe komme aber in keinem der drei Fälle in Betracht: im ersten Fall (Straßenverbreiterung) nicht, weil sie die oben aufgezählten Voraussetzungen nach den Grundsätzen der „Mitteldeutsche Hartstein“-Rechtsprechung erfülle; in den beiden anderen Fällen nicht, weil insoweit schon keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug bestanden habe.
Das BMF befasst sich zudem mit einigen Einzelfragen: Die Voraussetzungen der „Mitteldeutsche Hartstein“-Grundsätze seien beispielsweise dann nicht erfüllt, das heißt ein Vorsteuerabzug ist nicht gegeben, wenn unentgeltlich bürgerliche Kleidung an Arbeitnehmer abgegeben werde oder bei Zuwendungen an Betriebsangehörige im Rahmen einer Betriebsveranstaltung, wenn diese ausschließlich dem privaten Bedarf der Betriebsangehörigen dienten und über Aufmerksamkeiten hinausgingen. Für den Fall der unentgeltlichen Abgabe eines Sets bestehend aus Blutzuckermessgerät, Stechhilfe und Teststreifen an Patienten hatte das BMF bisher die Auffassung vertreten, dass es sich nicht um ein nicht steuerbares Warenmuster handle. Nun ergänzt es den Absatz mit einem Verweis auf die oben stehenden Regelungen, was die Rechtssicherheit in der Frage nur wenig erhöht.
Die Grundsätze des Schreibens sollen in allen offenen Fällen anzuwenden sein.
Hinweis
Das BMF scheint in mancher Beziehung von den Grundsätzen des EuGH und des Bundesfinanzhofs (BFH) abzuweichen. Was das erste Beispiel betrifft (Ausbau einer Straße zur Ausbeutung des Steinbruchs), so führt es in Hinblick auf das Kriterium der Nebensächlichkeit aus, dass die Straße nur in geringem Maße von Pkws (der Allgemeinheit) genutzt werde. Demgegenüber spricht der EuGH in seiner Urteilsbegründung zwar an, dass die Straße „vor allem für ihre (der Steinbruchbetreiberin) Bedürfnisse genutzt“ werde. In seinem Leitsatz stellt er aber lediglich fest, dass „diese Straße sowohl von diesem Steuerpflichtigen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit als auch von der Öffentlichkeit benutzt wird“, ohne in seiner Begründung darauf besonderes Gewicht zu legen. Hinzu kommt, dass das BMF in seinem zweiten Beispiel nicht weiter auf den Umstand eingeht, dass die Straße ein „hohes Radfahreraufkommen“ aufweist. So bleibt unklar, ob die Finanzverwaltung tatsächlich die „Nebensächlichkeit“ vom Ausmaß der Nutzung (oder Nützlichkeit) einer Anlage für die Allgemeinheit oder einen Dritten abhängig machen möchte. Sollte das der Fall sein, könnte das im Einzelfall schwierige Abgrenzungsprobleme nach sich ziehen.
Vielfach war man davon ausgegangen, dass das BMF-Schreiben vom 7. Juni 2012 (zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Erschließungsmaßnahmen) infolge der „Mitteldeutsche Hartstein“-Rechtsprechung in Hinblick auf unentgeltliche Erschließung nicht mehr aufrechterhalten werden könne. Das BMF scheint dem nicht zuzustimmen: Es soll „sich durch die v. b. Rechtsprechung kein Änderungsbedarf“ an diesem Schreiben ergeben, weil in den dortigen Fällen im Regelfall die unentgeltliche Weitergabe von Leistungen zu einem unversteuerten Endverbrauch führen würde (weshalb, wird nicht mitgeteilt). Die Regelungen in diesem Schreiben seien weiter anzuwenden, soweit im jetzt erschienenen neuen Schreiben keine abweichenden Regelungen getroffen würden. Entsprechend ordnet es auch an, dass das Urteil des BFH vom 13. Januar 2011 in der Rechtssache V R 12/08 weiterhin anzuwenden sei: In diesem Urteil hatte der BFH den Vorsteuerabzug aus der Errichtung von Erschließungsanlagen abgelehnt, wenn der Unternehmer beabsichtigt, diese einer Gemeinde durch Zustimmung zur öffentlich-rechtlichen Widmung der Anlagen unentgeltlich zuzuwenden.
Was schließlich die Regelung zum unentgeltlich abgegebenen Blutzuckermessgerät angeht, so scheint sich das auf einen Satz im BFH-Urteil XI R 26/20 (XI R 28/17) zu beziehen (dort fälschlich als „Blutdruckmessgerät“ bezeichnet), in dem der BFH – leider nicht allzu klar – andeutet, dass nach Änderung seiner Rechtsprechung auch hier keine unentgeltliche Wertabgabe mehr vorliege. Mit seiner Änderung scheint das BMF zum Ausdruck zu bringen, dass es darin einen Anwendungsfall der „Mitteldeutsche Hartstein“-Grundsätze sieht.
Fundstellen
BMF-Schreiben vom 24. Januar 2024 und BMF-Schreiben vom 7. Juni 2012 (Az. IV D 2-S 7300/07/10001:001, BStBl. I 2012, S. 621);
EuGH C-528/19 „Mitteldeutsche Hartstein“, Urteil vom 16. September 2020;
BFH XI R 26/20 (XI R 28/17), Urteil vom 16. Dezember 2020 (Nachfolgeentscheidung zu EuGH „Mitteldeutsche Hartstein“); V R 12/08, Urteil vom 13. Januar 2011
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