Vom Europäischen Gerichtshof
Wirtschaftliche Tätigkeit und Selbstständigkeit eines Verwaltungsrats
Nach Meinung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) führen grundsätzlich auch variable Aufwandsentschädigungen für luxemburgische Verwaltungsräte bei fehlendem wirtschaftlichem Risiko dazu, dass diese Personen nicht als Unternehmer anzusehen sind. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) dürfte nun die Regelungen zur Selbstständigkeit deutscher Aufsichtsräte nachzubessern haben.
Sachverhalt
Der Kläger des Ausgangsverfahrens (TP) war Mitglied des Verwaltungsrats mehrerer Aktiengesellschaften nach luxemburgischem Recht. Zu seinen Aufgaben gehörte es, Berichte von Führungskräften oder Vertretern der betreffenden Gesellschaften entgegenzunehmen und strategische Vorschläge, Entscheidungen der operativen Führungskräfte, Probleme im Zusammenhang mit der Rechnungslegung dieser Gesellschaften und ihrer Tochtergesellschaften sowie die für sie bestehenden Risiken zu erörtern. Gegebenenfalls unterstütze er bei der Ausarbeitung der Entscheidungen des jeweiligen Verwaltungsrats. Zudem war er an der Risikopolitik und an strategischen Entscheidungen der Gesellschaften beteiligt. In den Verwaltungsräten der jeweiligen Gesellschaften hatte TP keine ausschlaggebende Stimme, er nahm auch weder die Vertretung noch die laufende Geschäftsführung der Gesellschaften wahr.
Aufgrund dieser Tätigkeiten erhielt TP in seiner Eigenschaft als Mitglied des Verwaltungsrats durch Beschluss der Hauptversammlungen der jeweiligen Gesellschaften in einigen Fällen Tantiemen aus dem von den Gesellschaften erzielten Gewinn, in anderen Fällen einen Pauschbetrag. Das Finanzamt veranlagte ihn zur Mehrwertsteuer. TP machte geltend, dass die Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht keine wirtschaftliche Tätigkeit darstelle und ihn nicht zum Steuerpflichtigen mache.
Entscheidung
Der EuGH kam zum Schluss, dass TP nicht unternehmerisch tätig war: Eine wirtschaftliche Tätigkeit habe nur unter bestimmten weiteren Voraussetzungen vorgelegen, jedenfalls aber war TP seiner Auffassung nach offenbar nicht selbstständig tätig.
Was die wirtschaftliche Tätigkeit anging, ging der EuGH vor allem der Frage nach, ob die Dienstleistung des TP als entgeltlich anzusehen war. Dies erfordere einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und tatsächlich empfangener Gegenleistung. Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang liege vor, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet. Hier stand infrage, ob die Tantiemen den tatsächlichen Gegenwert für die Leistung darstellten und nicht etwa die Leistungen in einer Weise lediglich teilweise vergütet würden, dass der unmittelbare Zusammenhang zwischen diesen Leistungen und der Gegenleistung aufgehoben werde. Im Fall des Pauschbetrags schien nach Meinung des EuGH zwar der erforderliche unmittelbare Zusammenhang zu bestehen – nicht unbedingt aber im Fall gewinnabhängiger Tantiemen. Für diesen Fall gab er dem vorlegenden Gericht die Prüfung auf, ob TP auf Grundlage anderer Faktoren auch dann Tantiemen in objektiv angemessener Höhe gewährt würden, wenn die betreffende Gesellschaft keinen oder nur einen geringen Gewinn erzielt. Die Festsetzungsmodalitäten der Vergütung müssten vorhersehbar sein; damit scheint sich der EuGH auf den Umstand zu beziehen, dass die Vergütung, wie er mitteilt, selbst nachhaltigen Charakter aufweisen müsse.
Was die Selbstständigkeit anging, erörterte der EuGH insbesondere, ob sich TP bei der Ausübung seiner Tätigkeit in einem Unterordnungsverhältnis befand. Hierbei komme es darauf an, ob er seine Tätigkeiten im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ausübte und ob er das mit der Ausübung dieser Tätigkeiten einhergehende wirtschaftliche Risiko trug. Der EuGH sah es zwar als Indiz gegen ein Unterordnungsverhältnis an, dass es TP im Rahmen seiner Beratungs- und Beschlussfassungstätigkeit im Verwaltungsrat freistand, dem Verwaltungsrat Vorschläge und Ratschläge zu unterbreiten und im Verwaltungsrat abzustimmen. Indessen trug TP seiner Meinung nach nicht das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit: Damit sei stets das wirtschaftliche Risiko gemeint, dass die betreffende Person unmittelbar trägt, nicht das wirtschaftliche Risiko der Gesellschaft. Es sei hier aber die Gesellschaft gewesen, die das Risiko der Tätigkeit der Verwaltungsratsmitglieder trug: Die Verwaltungsräte hätten zwar am Gewinn, nicht aber am Verlust teilgehabt. Die Beteiligung am Gewinn könne nicht damit gleichgesetzt werden, ein eigenes Gewinn- und Verlustrisiko zu tragen. Erst recht liege kein wirtschaftliches Risiko vor, wenn die Hauptversammlung die Tantiemen in Form eines Pauschbetrags gewähre, der auch dann gezahlt wird, wenn die Gesellschaft Verluste macht oder sich in einem gerichtlichen Liquidationsverfahren befindet.
Hinweis
Die Grundsätze lassen sich auf deutsche Aufsichtsräte übertragen. Im Urteil „IO“ hatte der EuGH im Jahr 2019 den Fall eines (niederländischen) Aufsichtsrats mit Fixvergütung entschieden. Damals war der EuGH bereits zum Schluss gekommen, dass die Tätigkeit nicht selbstständig ausgeübt wurde, weil der Kläger kein wirtschaftliches Risiko trug. Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte noch im selben Jahr und mit selbem Ergebnis einen ähnlichen Fall entschieden, dem ebenfalls ein Sachverhalt mit Festvergütung zugrunde lag. Daraufhin erließ das BMF zwei Schreiben zur Umsatzbesteuerung von Aufsichtsratsvergütungen. Darin legte es fest, dass im Fall einer nicht variablen Festvergütung der Aufsichtsrat kein Vergütungsrisiko trage und damit nicht selbstständig tätig sei. Wenn allerdings der Aufsichtsrat eine Vergütung beziehe, die sich sowohl aus festen als auch aus variablen Bestandteilen zusammensetzte, sollte er selbstständig tätig sein, sofern die variablen Bestandteile im Geschäftsjahr der Gesellschaft mindestens zehn Prozent der gesamten Vergütung betrugen. Das ermöglichte es sowohl dem Aufsichtsratsmitglied als auch seiner Gesellschaft, im Gestaltungswege entweder dem Aufsichtsrat den Vorsteuerabzug zu sichern oder wahlweise – wenn die Gesellschaft nicht oder nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt war – den Umsatzsteueraufwand zu mindern. Das BMF wird seine Grundsätze nun zu überarbeiten haben: Die Spielräume für eine selbstständige Tätigkeit dürften hierbei wesentlich kleiner ausfallen.
Fundstellen
EuGH C-288/22 „TP“ (am EuGH geführt unter „Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA“), Urteil vom 21. Dezember 2023; C-420/18 „IO“, Urteil vom 13. Juni 2019;
BFH V R 23/19 (vormals V R 62/17), Urteil vom 27. November 2019;
BMF-Schreiben vom 8. Juli 2021 und vom 29. März 2022
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