Vom Europäischen Gerichtshof
Leistungsort interaktiver Videoübertragungen per Streaming
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erläutert in diesem Urteil näher, was unter der „Einräumung einer Eintrittsberechtigung“ zu verstehen ist. Über seine Ausführungen zu diesem Thema hinaus sollte das Urteil allerdings nicht überinterpretiert werden.
Sachverhalt
Die Klägerin betrieb in Rumänien ein Studio und hatte Modelle unter Vertrag. Die durch die Klägerin aufgenommenen Streaming-Videos wurden in den USA über einen dort ansässigen Betreiber einer Website mit digitalen Inhalten erotischer Art vermarktet. Dies erfolgte insbesondere in Form von persönlichen Online-Videochats, die Interaktionen der Nutzer mit den Modellen zuließen. Der Betreiber übertrug die Videos der Klägerin live auf seiner Website und stellte den Kunden (natürlichen Personen) die für die Interaktion mit den Modellen erforderliche Schnittstelle zur Verfügung. Der Betreiber legte auch die Bedingungen fest, unter denen Kunden die Darbietungen ansehen und mit den Modellen interagieren konnten. Er zog die Zahlungen der Kunden ein, behielt einen Teil davon für sich und leitete den Rest an die Klägerin weiter, die ebenfalls einen Teil einbehielt und den verbleibenden Rest an die Modelle auszahlte.
Das Finanzamt war der Auffassung, dass der Ort der Dienstleistungen von der Klägerin an den US-amerikanischen Betreiber in Rumänien sei. Diese Darbietungen stellten Unterhaltungsveranstaltungen dar. Hierbei bezog sich das Finanzamt auf die Vorschrift des Art. 53 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL), in der der Leistungsort „einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen betreffend die Eintrittsberechtigung […] für Veranstaltungen auf dem Gebiet […] der Unterhaltung“ geregelt ist (in Deutschland vgl. § 3a Abs. 3 Nr. 5 UStG). Diese Leistungen seien an dem Ort steuerbar, an dem diese Veranstaltungen tatsächlich stattfänden. Hier sei die im Urteil „Geelen“ im Jahr 2019 gefundene Lösung anzuwenden, wonach als Ort einer Dienstleistung in Form des Angebots interaktiver erotischer Live-Webcam-Darbietungen der Ort anzusehen sei, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten habe. Denn die Klägerin habe dazu beigetragen, den Zugang der Öffentlichkeit zur Unterhaltungsveranstaltung zu ermöglichen.
Entscheidung
Der EuGH setzte auseinander, dass das Urteil „Geelen“ sich auf eine andere Leistungsortsregelung nach einer älteren Rechtslage bezogen habe. Art. 53 der MwStSystRL treffe aber eine Regelung für andere Leistungen als die seinerzeitige Regelung − nämlich solche, die Eintrittsberechtigungen sowie die damit zusammenhängenden Dienstleistungen für solche Veranstaltungen beträfen, sofern sie an Steuerpflichtige erbracht werden. Damit ließen sich die Grundsätze des Falls „Geelen“ nicht auf den vorliegenden Fall übertragen.
Im nächsten Schritt legte der EuGH den Begriff der „Veranstaltung“ dahin aus, dass er nach seiner üblichen Bedeutung eine öffentliche Darbietung bezeichne. Daher umfasse der Begriff einer „Dienstleistung betreffend die Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen“ solche Dienstleistungen, die der Organisation der Darbietung nachgelagert seien und darauf abzielten, der Öffentlichkeit den Zugang zu ihr zu gewähren. Das erläuterte der EuGH näher anhand mehrerer Vorschriften der Mehrwertsteuer-Durchführungsverordnung (MwStVO): Dienstleistungen „betreffend die Eintrittsberechtigung“ könnten nur solche Dienstleistungen sein, die sich auf den Vertrieb des Rechts auf Eintritt zu der betreffenden Veranstaltung an den Leistungsempfänger beziehen. Sie müssten auch mit dem Vertrieb des Rechts auf Eintritt zu der betreffenden Veranstaltung an Leistungsempfänger zusammenhängen. Die „damit zusammenhängenden“ Dienstleistungen bezeichneten solche, die an den Besucher der Veranstaltung gesondert erbracht werden, sodass die Einräumung der Eintrittsberechtigung die Hauptdienstleistung sei.
Nach alldem gelte die Leistungsortsregelung in Art. 53 MwStSystRL nicht für Dienstleistungen, die (lediglich) zur Durchführung einer Tätigkeit erbracht werden, die zu einer Veranstaltung führt. Sie gelte nur für Dienstleistungen, die darin bestehen, das Recht auf Eintritt zu einer solchen Veranstaltung an Dienstleistungsempfänger zu vertreiben. Wenn nun die Dienstleistung darin bestehe, die Modelle zu filmen, um im nächsten Schritt diese Inhalte dem Betreiber zur Verfügung zu stellen, der sie sodann verbreite, könne sie nicht Gegenstand der Leistungsortregelung des Art. 53 MwStSystRL sein. Das Studio verfüge zwar über Aufnahmegeräte, aber weder der Besitz dieser Geräte noch ihre Bedienung bedeuteten für sich genommen, dass diese Sitzungen öffentlich präsentiert würden.
Abschließend verwies der EuGH auf eine Leitlinie des Mehrwertsteuerausschusses aus dem Jahr 2021. Damals war der Ausschuss auf Basis des Urteils „Geelen“ fast einstimmig zur folgenden Auffassung gelangt (vereinfacht dargestellt): Werden in Echtzeit gefilmte und über das Internet übertragene Darbietungen durch einen Steuerpflichtigen einem anderen Steuerpflichtigen zur Verfügung gestellt, der Eigentümer der Aufnahmen wird und sie im nächsten Schritt einem Zuschauer bereitstellt, so liegt kein Fall des Art. 53 vor. Auch das entspreche den vom EuGH angestellten Erwägungen.
Hinweis
Die deutsche Finanzverwaltung unterscheidet bereits heute zwischen Veranstaltungsleistungen und der Einräumung von Eintrittsberechtigungen. Veranstaltungsleistungen sind laut Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) einheitliche Leistungen, die neben der Überlassung unter anderem von Standflächen auf Messen und Ausstellungen bestimmte weitere Leistungen umfassen; die Einräumung von Eintrittsberechtigungen sind dagegen im UStAE als (offenkundig) eigene Kategorie besonders geregelt. Nach dem EuGH erfolgt das zu Recht: Die Einräumung von Eintrittsberechtigungen ist dem vorliegenden Urteil zufolge keine Veranstaltungsleistung, sondern setzt sie bereits voraus. In den Worten des EuGH handelt es sich bei „Dienstleistungen betreffend die Eintrittsberechtigung“ um „Dienstleistungen […], die der Organisation dessen, was Gegenstand dieser Darbietung ist, nachgelagert sind“. Die von der Klägerin erbrachten Dienstleistungen seien demgegenüber „für die Verbreitung dieser Inhalte durch den Betreiber an seine eigenen Kunden erforderlich“. Die Unterscheidung zwischen einer Veranstaltungsleistung und der Einräumung einer Eintrittsberechtigung ist in vieler Hinsicht wichtig – nicht nur, was den Leistungsort angeht: So werden im Zusammenhang mit einer Veranstaltungsleistung bzw. der Einräumung der Eintrittsberechtigung angebotene Übernachtungs- und Verpflegungsleistungen nach deutscher Verwaltungsauffassung höchst unterschiedlich behandelt.
Davon abgesehen ist dieses Urteil aber mit Vorsicht zu genießen. Der EuGH trifft darin lediglich eine negative Aussage, aus der sich positive Aussagen nicht ohne Weiteres ableiten lassen. Er teilt nämlich nur mit, dass die Leistung der Klägerin nicht Art. 53 MwStSystRL (vgl. § 3a Abs. 3 Nr. 5 UStG) unterliegt, also zumindest nicht nach dieser Vorschrift an dem Ort zu besteuern war, „an dem die Veranstaltung tatsächlich durchgeführt wird“. Aus dem Urteil ergibt sich nicht, wie sich der Ort der Leistung der Klägerin stattdessen bestimmte, noch geht der EuGH eindeutig darauf ein, wo die Leistung des US-amerikanischen Betreibers zu besteuern war.
Was die vom EuGH herangezogene Leitlinie des Mehrwertsteuerausschusses angeht, stimmt er ihr zwar darin zu, dass in dem von der Leitlinie umrissenen Fall Art. 53 nicht anzuwenden sei. Die Leitlinie sieht allerdings auch vor, dass der Leistungsort sich in diesem Fall nach Art. 44 MwStSystRL bestimme (also grundsätzlich an dem Ort, an dem der Leistungsempfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat). Die letztere Auffassung wird vom EuGH im Urteil aber nicht ausdrücklich bestätigt. Auch hier empfiehlt sich daher Vorsicht, zumal der Mehrwertsteuerausschuss, wie der EuGH auch im Urteil mitteilt, nur beratend tätig ist. Seine Leitlinien haben sowohl nach Meinung der Finanzverwaltung als auch des EuGH keine rechtliche Bindungswirkung, auch wenn sie – wie der EuGH in „SK Telecom“ hervorhebt – „als Auslegungshilfe zur Mehrwertsteuerrichtlinie dienen“.
Fundstellen
EuGH C-532/22 „Westside Unicat“, Urteil vom 23. November 2023; C-568/17 „Geelen“, Urteil vom 8. Mai 2019; C-593/19 „SK Telecom“, Urteil vom 15. April 2021
Webauftritt des Mehrwertsteuerausschusses auf den Seiten der EU-Kommission, unter anderem mit Link auf bisher veröffentlichte Leitlinien
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