Aus der Rechtsprechung
Ausgliederungsfälle: Adressat für Wider-spruch gegen Gut-schriften und Option zur Steuerpflicht
Die Antwort auf die Frage, wem gegenüber eine Gutschrift zu widerrufen ist, scheint auf den ersten Blick nicht schwer zu sein – nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann sie aber jedenfalls in Ausgliederungsfällen eine nähere Prüfung erfordern. Das Urteil könnte in bestimmten Umwandlungsfällen erhebliche Auswirkungen über diese Frage hinaus haben.
Sachverhalt
Die Klägerin, die mehrere Geschäftsbereiche unterhielt, gliederte ihren Geschäftsbereich „Edelmetalle“ in die zuvor gegründete X-GmbH aus – mit sämtlichen diesem Geschäftsbereich zuzuordnenden Vermögensgegenständen und Schulden und allen sonstigen Rechten und Pflichten sowie Rechtsbeziehungen unter Einschluss der Liefer- und Einkaufsverträge. Nach der Ausgliederung meldete die übernehmende X-GmbH selbst ihre Umsätze an.
Noch bevor die Ausgliederung im Handelsregister eingetragen und dadurch wirksam wurde, erwarb die Klägerin Gold von anderen Unternehmern (S und H), deren Umsätze zwar unter die Steuerbefreiung der Lieferung von Anlagegold fielen, die auf diese Steuerbefreiung aber verzichtet hatten. Sie erteilte diesen Unternehmern ordnungsgemäße, als „Ankaufsrechnungen“ bezeichnete Gutschriften mit Steuerausweis. In einem nach der Eintragung der Ausgliederung ins Handelsregister datierten Schreiben widersprach jedoch H gegenüber der Klägerin sämtlichen Gutschriften und bat um Übermittlung geänderter „Ankaufsrechnungen“ ohne Steuerausweis. Auch S widersprach nach der Ausgliederung den „Ankaufsrechnungen“ und übermittelte eigene Rechnungen an die Klägerin ohne Ausweis von Umsatzsteuer, da es sich um steuerfreie Goldlieferungen gehandelt habe.
Das Finanzamt war der Auffassung, dass sowohl S als auch H nicht nur den Gutschriften wirksam widersprochen, sondern auch den Verzicht auf die Steuerbefreiung wirksam rückwirkend widerrufen hätten.
Entscheidung
Der BFH folgte der Auffassung des Finanzamts nicht: Seiner Meinung nach entfalteten die Widersprüche des H und S gegen die Gutschriften keine Wirkung, weil sie gegenüber der falschen Person (der Klägerin) abgegeben worden waren. Aufgrund der mit Eintragung wirksam gewordenen Ausgliederung hätten sie vielmehr der X-GmbH gegenüber erklärt werden müssen. Daher sei auch der Widerruf des Verzichts auf die Steuerbefreiung unwirksam gewesen, weil noch immer Rechnungen mit offenem Steuerausweis vorlägen.
Das erstinstanzliche Finanzgericht (FG) hatte im Ergebnis die Frage, wem gegenüber der Gutschrift zu widersprechen sei, als steuerrechtliche Frage behandelt: Da bei der Ausgliederung eines Geschäftsbetriebs der übernehmende Rechtsträger nicht in das steuerrechtliche Schuldverhältnis des fortbestehenden Rechtsträgers eintrete, sei der (gegenüber der Klägerin erklärte) Widerspruch gegen die Gutschriften wirksam gewesen. Nach Auffassung des BFH richte sich die Frage, wem gegenüber der Widerspruch einzulegen sei, danach, wer zivilrechtlich hierfür zuständig sei. Beim Anspruch auf Ausstellung einer Rechnung mit Umsatzsteuerausweis handle es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch, der vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen sei. Ein Widerspruch als Willenserklärung müsse gegenüber der Person abgegeben werden, die Vertragspartei und zivilrechtlich dazu berechtigt sei, die Rechnung oder Gutschrift zu erteilen. Dies sei seit der Eintragung der Ausgliederung ins Handelsregister aber nicht mehr die Klägerin gewesen – sondern die X-GmbH. Auf die Frage einer steuerrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge komme es für die Frage, ob ein Widerspruch wirksam ist, nicht an.
Denn eine Ausgliederung habe unter anderem die Wirkung, dass der ausgegliederte Teil (oder die Teile) des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers, einschließlich der Verbindlichkeiten entsprechend der im Spaltungs- und Übernahmevertrag vorgesehenen Aufteilung, jeweils als Gesamtheit auf die übernehmenden Rechtsträger übergehe. Es werde eine allein durch den Parteiwillen zusammengefasste Summe von Vermögensgegenständen in einem Akt übertragen. In diesem Fall solle keine steuerrechtliche Gesamtrechtsnachfolge eintreten. Mit der Eintragung im Handelsregister gehe aber im Wege der Sonderrechtsnachfolge das betreffende Vermögen samt Verbindlichkeiten und bestehender Verträge in einem Akt im Wege der partiellen Gesamtrechtsnachfolge auf den übernehmenden Rechtsträger über. Dabei würden die gesamten Vertragsverhältnisse ohne Zustimmung der anderen Vertragspartei kraft Gesetzes auf den übernehmenden Rechtsträger übertragen. Ob der Dritte die Bekanntmachung kannte, sei wegen der Publizität des Handelsregisters (§ 15 Abs. 2 HGB) unerheblich. Danach war nach der Eintragung der Ausgliederung in das Handelsregister zivilrechtlich die X-GmbH Vertragspartnerin des S und des H geworden. An sie, nicht an die Klägerin, hätten die Widersprüche gerichtet werden müssen, um wirksam zu werden. Das sei nicht erfolgt.
Weil der Widerspruch nicht wirksam erfolgt sei, sei auch der Widerruf der Option zur Steuerpflicht unwirksam. Wenn der leistende Unternehmer den Verzicht auf die Steuerbefreiung für Anlagegold in wirksamer Weise rückgängig mache, verliere der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug rückwirkend im Jahr des Leistungsbezugs. Der Widerruf sei nicht von der Zustimmung des Leistungsempfängers abhängig. Wenn aber der Unternehmer dadurch auf die Steuerfreiheit des Umsatzes verzichtet habe, dass er dem Leistungsempfänger den Umsatz unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnung gestellt hatte, könne er den Verzicht nur dadurch rückgängig machen, dass er dem Leistungsempfänger eine berichtigte Rechnung ohne Umsatzsteuer erteilt. Dies sei hier nicht erfolgt, die Gutschriften seien immer noch wirksam.
Hinweis
Ein wirksamer Widerspruch gegen eine Gutschrift (der als solcher nach Verwaltungsauffassung erst für den Besteuerungszeitraum wirksam ist, in der er erklärt wird) hat nicht nur Auswirkungen auf den Widerruf einer Option zur Steuerpflicht, er ist auch in anderen Fällen von großer Wichtigkeit. So soll im Fall des unrichtigen Steuerausweises der Gutschriftempfänger (der leistende Unternehmer) die zu hoch ausgewiesene Steuer schulden, wenn er einem zu hoch ausgewiesenen Steuerbetrag nicht widerspricht. Die vom BFH angesprochene „Rechtszuständigkeit (und Rechtspflicht) zur Abrechnung“ könnte sich auch auf andere Tätigkeiten in Zusammenhang mit der Abrechnung beziehen, zum Beispiel auf die Frage, wer nach einer vollzogenen Ausgliederung eine Rechnung erstmals auszustellen oder eine Rechnung zu korrigieren hat. Was den Verzicht auf die Steuerpflicht angeht, so sollte beachtet werden, dass die Option im Fall der Steuerbefreiung von Anlagegold besonders geregelt ist (§ 25c Abs. 3 UStG). Auch wenn es nahe liegt, dass die Grundsätze für die „gewöhnliche“ Option nach § 9 UStG (oder ihren Widerruf) ergänzend für die Option nach § 25c UStG herangezogen werden, was im Hinblick auf die Urteilsgrundsätze auf eine Anwendung auf Fälle des § 9 UStG schließen lassen könnte, ist in den Fällen der „gewöhnlichen“ Option also Vorsicht anzuraten.
Außerdem wirft das Urteil die Frage auf, ob eigentlich der Adressat des Widerspruchs gegen eine Gutschrift derselbe ist wie der Adressat des Widerrufs eines Verzichts auf die Steuerbefreiung. Der BFH hat diese Frage nicht aufgeworfen, wohl weil er sich dazu nicht veranlasst sah. Ähnliche Fragen eines möglichen Auseinanderfallens steuerrechtlicher und zivilrechtlicher Verpflichtungen können sich in Zusammenhang mit der Korrektur im Fall eines unrichtigen Steuerausweises stellen, der grundsätzlich neben der Korrektur auch die Rückzahlung des Rechnungsbetrags in entsprechender Höhe verlangt. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass in Fällen des unrichtigen Steuerausweises bei Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG das Verfahren zu beachten ist, das für Fälle des unberechtigten Steuerausweises gilt (insbesondere Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens).
Die möglichen steuerrechtlichen und zivilrechtlichen Komplikationen sind damit noch nicht erschöpfend behandelt. So könnten die Grundsätze des Urteils auf andere Formen der Umwandlung wie zum Beispiel die Abspaltung anzuwenden sein. In vielen Sachverhalten könnte infolge dieses Urteils auch lange Zeit nach der Ausgliederung ein hohes Maß an Kooperation zwischen dem übertragenden und dem übernehmenden Rechtsträger erforderlich werden; für die Geschäftspartner des übertragenden Rechtsträgers empfiehlt sich ein besonderes Maß an Wachsamkeit und Problembewusstsein.
Fundstelle
BFH XI R 41/20, Urteil vom 12. Juli 2023
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