Aus der Rechtsprechung
Keine Verfassungs- und Unionsrechts-widrigkeit von Säumniszuschlägen
Als das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2021 den Zinssatz von damals 6 Prozent p. a. für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen für verfassungswidrig erklärte, richtete sich die Aufmerksamkeit auch auf die Höhe anderer Zinsen und Nebenleistungen. Bei der Höhe des Säumniszuschlags scheint eine ähnliche Entwicklung wie im Fall dieser Zinsen unwahrscheinlicher zu sein, aber noch ist ein anderer Ausgang nicht ausgeschlossen.
Vorgeschichte
Mit Beschluss vom 8. Juli 2021 hatte das Bundesverfassungsgericht den Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen von 0,5 Prozent pro Monat (6 Prozent p. a.) für Zeiträume ab 2014 für verfassungswidrig erklärt, weil er spätestens damals „evident realitätsfern“ geworden sei. Für die Jahre 2014 bis 2018 gelte die bisherige Vorschrift trotz Verfassungswidrigkeit fort, sie sei jedoch für Verzinsungszeiträume ab 2019 unanwendbar. Das Gericht verpflichtete den Gesetzgeber dazu, eine Neuregelung zu treffen. Dem kam der Gesetzgeber mit Gesetz vom 12. Juli 2022 nach: Hierbei wurde der monatliche Zinssatz für Zinsen nach § 233a AO auf 0,15 Prozent (1,8 Prozent p. a.) herabgesetzt.
Zu anderen Zinsarten nach der Abgabenordnung (AO) oder den Einzelsteuergesetzen sowie für Nebenleistungen wie etwa den Säumniszuschlag nach § 240 AO wurden hierbei keine Regelungen getroffen. Mit Beschluss vom 23. Mai 2023 hatte der V. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) – einer der beiden Umsatzsteuer-Fachsenate – „ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen“ geltend gemacht, „soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind“. Die Zweifel richteten sich auf die zinsähnliche Funktion der Säumniszuschläge, die ihnen neben ihrer Funktion als Druckmittel zukomme. Diese Frage könne aber nicht im Beschwerdeverfahren gegen die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Abrechnungsbescheide endgültig geklärt werden, sondern müsse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Entscheidung
In einer weiteren Entscheidung vom 16. Oktober 2023 hat nun der V. Senat bekundet, dass bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel mehr an der Verfassungsmäßigkeit verwirkter Säumniszuschläge bestünden, auch soweit diese nach dem 31. Dezember 2018 entstanden sind. Der VII. Senat habe nunmehr in zwei Hauptsacheverfahren verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 AO verneint; er, der V. Senat, schließe sich seiner Auffassung an.
Wie der V. Senat in seinem Beschluss mitteilt, stützt sich die Auffassung des VII. Senats darauf, dass die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen nicht Haupt-, sondern nur Nebenzweck der Säumniszuschläge sei und dass sich kein konkreter Anteil bestimmen lasse, der als Zins behandelt werden könne. Ein derartiger Anteil ergebe sich auch nicht aus der bisherigen Rechtsprechung des BFH, die im Rahmen der Ermessensentscheidung über einen Billigkeitserlass von Säumniszuschlägen bei Zahlungsunfähigkeit dem Druckmittelcharakter der Säumniszuschläge einen Anteil von 50 Prozent zugemessen habe. Daraus könne nicht generell ein fester Zinsanteil hergeleitet werden. Somit fehle es jedenfalls an einer festen Größe eines Zinssatzes, die auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden könne.
Hinweis
Die vom V. Senat mit Beschluss vom 23. Mai 2023 geäußerten (jetzt ausgeräumten) Zweifel hatten sich auf die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge bezogen. Was dagegen die Unionsrechtsmäßigkeit anging, so hatte er bereits damals mitgeteilt, dass insoweit keine weitergehenden Zweifel bestünden, was er zudem in seinem neuen Beschluss bekräftigt hat.
Zwar sind Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz – wie eben Entscheidungen über eine Aussetzung der Vollziehung – stets mit Vorsicht zu genießen. Hier hat sich der V. Senat aber immerhin mit durchaus klaren Worten positioniert und sich an eine Hauptsacheentscheidung eines anderen Senats angeschlossen. Zur selben Auffassung wie hier der V. Senat sind auch andere Senate gekommen, so etwa der X. Senat, der sich ebenfalls auf die Entscheidungen des VII. Senats beruft und unter anderem bekundet, dass die von anderen Senaten geäußerten Zweifel damit überholt seien. Offenbar ist aber noch nicht aller Tage Abend: So ist der VIII. Senat in einem (erst) vom 22. September 2023 datierten Beschluss bei der Auffassung geblieben, dass ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge bestünden. Ob am Ende in dieser Sache der Große Senat des BFH oder das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hat, wird sich zeigen müssen.
Fundstellen
BFH V B 49/22 (AdV), Beschluss vom 16. Oktober 2023;
BVerfG 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, Beschluss vom 8. Juli 2021;
Zweites Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 12. Juli 2022, BGBl. I 2022, S. 1142;
BFH V B 4/22 (AdV), Beschluss vom 23. Mai 2022; X B 52/23 (AdV), Beschluss vom 13. September 2023; VIII B 64/22 (AdV), Beschluss vom 22. September 2023
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